Himmel und Hölle
und die Großen schmiegten sich eifersüchtig an mich. Sie wollten einfach nur mal in den Arm genommen werden. Sie wollten mich einmal nur für sich allein. Wie jedes Kind. Ich zerriss mich förmlich.
Zwei Wochen später stand ich wieder in meiner Praxis.
24
Jeden Morgen um fünf klingelte der Wecker. Ich stillte die Zwillinge und zog dann die Großen an. Sie wollten weder Stefan noch Nicole, sie wollten mich.
Wenn ich mal keine Hand für sie frei hatte, gab es Riesendramen. Diese kleinen Menschenkinder hatten verständlicherweise ein Mama-Defizit, und ich bemühte mich mit aller Kraft, es aufzuholen.
Ich machte Frühstück für alle und bereitete mich auf meinen Praxisalltag vor. Um sieben Uhr kam Nicole. Dann pumpte ich noch Milch für die Zwillinge ab und nahm die Großen mit in den Kindergarten. Dort gab es jedes Mal unbeschreibliches Geschrei.
Jede Trennung war für meine Großen ein Grund zur Panik. Denn sie hatten ja nicht wirklich die Erfahrung gemacht, dass ich zuverlässig wiederkomme! Beim letzten Mal war ich ganze vier Wochen weggeblieben und dann mit zwei plärrenden Konkurrenten zurückgekehrt! Was wussten sie denn, wo ich jetzt hinging, wie lange ich wegblieb und wen ich dann wieder anschleppen würde? Sie kämpften und buhlten um jede Minute Aufmerksamkeit, um jede Umarmung, um jedes liebe Wort. Man kann einem vierjährigen Mädchen nicht sagen: »Jetzt reiß dich mal zusammen, deine
Mutter hat eine Operationswunde, in ihrem Wartezimmer sitzen seit anderthalb Stunden ein Dutzend Schwangere, die möglicherweise ein Problem haben, und in zwei Stunden muss sie die Zwillinge stillen. Also geh jetzt brav in den Kindergarten und mach schön winke, winke.« Und einem trotzenden Dreijährigen kann man so etwas erst recht nicht sagen.
Ich fühlte mich schlecht, obwohl ich es doch allen immer nur recht machen wollte.
Um zehn Uhr vormittags kam Nicole mit dem Zwillingskinderwagen in die Praxis. Die Patientinnen, die seit Stunden im Wartezimmer saßen, glaubten natürlich, dass es sich um eine junge Mutter handelte, die zur Nachuntersuchung kam. Dass die dann hastig durch-gewunken wurde und offensichtlich vor ihnen drankam, bereitete ihnen Unmut. Besonders, wenn sie fast eine Stunde in meinem Sprechzimmer blieb. Denn bis man zu früh geborene Zwillinge gestillt hat, das dauert!
Dennoch. Wir zogen das durch. Nicole und ich, wir waren ein eingespieltes Team. Natürlich stillte ich inzwischen STEREO, und während sie die Kinder hielt, diktierte ich noch Gutachten in mein Diktiergerät. Hätte ich eine dritte Hand gehabt, hätte ich mir vielleicht zwischendurch ein Butterbrot in den Mund geschoben, aber so war das ausgeschlossen.
Nach dem zehnten Hochzeitstag an Pfingsten 2004 hatte ich die fünfunddreißig Kilo schon bald wieder runter. So schnell wie Heidi Klum war ich wieder ein Strich in der Landschaft. Und das ganz ohne Personal Trainer. Ohne eine bestimmte Diät.
Mit der Zeit wurde mir immer öfter schwindelig.
»Das ist der Stress, Konstanze«, sagte Stefan. »Das geht vorüber. Träum dich ans Ziel: Die Zwillinge gedeihen gut und gesund. Sie können laufen und allein essen. Du sitzt gemütlich auf dem Sofa und schaust zu, wie sie ihre Zimmer aufräumen. Dabei löffelst du genießerisch ein dickes Eis mit Sahne.« Er grinste spitzbübisch, und ich musste lachen.
Diesen Moment würde es wohl nie geben in unserem Leben. Und das wollten wir auch gar nicht. Seliges Nichtstun war einfach nichts für uns. Stefan hatte als Politikberater alle Hände voll zu tun und war fast gar nicht mehr zu Hause. Das war ja auch nachvollziehbar - er hatte jahrelang neben allem anderen mit Windeln gewechselt und 2001 von zu Hause aus mit dem Breilöffel in der Hand telefonisch seine eigene Firma gestartet. Damit ich meine Facharztausbildung vollenden konnte. Damit ich meine Praxis eröffnen konnte. Immerhin waren fünfzehn Jahre vergangen, seit ich von Hamburg zum Medizinstudium nach Bayern gezogen war. Stefan war stets für mich da gewesen. Er hatte mich immer unterstützt. Mit Rat und Tat. Dass wir gleich vier Kinder unter fünf hatten, war eine Mammutaufgabe, der wir uns freiwillig gestellt hatten.
Wobei ich viel lieber von einem gemeinsamen Segen spreche! Wir hatten vier wunderbare gesunde Kinder! Aber die mussten auch ernährt werden. Inzwischen hatten wir nicht nur das Kindermädchen Nicole, sondern auch noch eine Haushälterin. Und wir hatten eine sechsstellige Summe in den Praxisaufbau investiert!
Kein Wunder,
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