Himmel voll Blut - DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Alex-McKnight-Serie (German Edition)
Namen gesucht. Das war leicht.«
»Ich weiß, was am Jagdhaus passiert ist«, sagte sie. »Ich habe Ihre Aussage gelesen. Ist es in Wirklichkeit so passiert?«
»Ich dachte, Sie seien beurlaubt.«
»Das betrifft mich schon ein wenig. Vielleicht sollten Sie besser gehen.«
»Es steht noch ein weiterer Name auf der Liste«, sagte ich. »Olivia Markel.«
Wieder sah sie auf den Artikel. »Ich sehe ihn. Was ist mit ihr?«
»Ihr Partner war ihr Vater.«
Sie brauchte einige Sekunden, um das zu verarbeiten. »Claude hatte eine Tochter? Er hat nie von ihr erzählt.«
»Es war so lange her. Bevor Sie ihn überhaupt kennengelernt haben. Da bin ich mir sicher.«
»Ich kapiere das nicht. Was hat das denn zu tun mit dem … mit allem?«
»Sie waren alle zusammen«, erklärte ich. »Diese Leute vom Jagdhaus und Claude. Seit dem Feuer in Detroit sind sie immer zusammengewesen.«
»Aber Gannon …« Sie dachte angestrengt darüber nach. »Gannon hat ihn doch umgebracht.«
»Am Ende ja. Als Vinnie und ich herausgefunden hatten, was sie den Männern angetan hatten, hat Claude offensichtlich von Gannon verlangt, reinen Tisch zu machen.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich nehme an, Sie haben so etwas wie unseren Fünften Verfassungszusatz auch in Kanada? Daß man sich nicht selber belasten muß und daß man nicht zweimal in derselben Sache belangt werden kann?«
»Erzählen Sie es mir.«
»Ich muß wissen, ob ich Ihnen vertrauen kann.«
Eine Ewigkeit lang sah sie mich an. Irgendwo im Hause schlug eine Standuhr.
»Als ich mich habe beurlauben lassen, bin ich hierhin zurückgekehrt.« Sie sah zur Decke hoch, als ob sie durch sie hindurch in die entferntesten Ecken das Hauses blicken könnte. »Meine Mutter ist gestorben. Sie hat hier alles in Ordnung gehalten. Ich bin hierhin zurückgekommen, um zu überlegen, was jetzt daraus werden soll.«
»Genau wie ich«, sagte ich. »Bei mir waren es die Hütten meines Vaters.«
Sie stützte die Ellenbogen auf den Tisch. Dann beugte sie sich vor und sah mich aus der Nähe an. »Eines muß ich Ihnen zugestehen«, sagte sie. »Sie hatten recht mit den Arbeitskollegen. Man hat mir nicht einmal mehr in die Augen sehen wollen.«
Das war alles, was ich brauchte, allein schon die Art, wie sie sich auf mich zu bewegt hatte. Es war wenig genug, vielleicht ein paar Zentimeter. Aber es war genug. Ich war dabei, eine weitere Brücke über einen weiteren Abgrund zu schlagen, vielleicht über den klaffendsten von allen. Eine weitere Brücke, eine weitere Verbindung. Ein weiterer Schritt für mich auf meinem Wege zurück in die menschliche Gesellschaft. Draußen verstärkte der Nordwind sein Brausen. Es war kalt da draußen. Kalt und dunkel.
»Sie haben das schon durchgemacht«, sagte sie. »Sie wissen, wie man sich fühlt.«
»Ja«, sagte ich. »Aber ich mußte es alleine tun.«
Sie sah mich unverwandt an. »Und was soll ich jetzt machen?«
»Es ist Silvester«, sagte ich. »Ist Ihnen nach einem Trinkspruch?«
»Das hängt ganz vom Sekt ab, den Sie mitgebracht haben. Taugt der was?«
»Woher soll ich das wissen?«
»Ich hole die Gläser«, sagte sie. »Geh nicht weg.«
Ich ging nicht. Und so hat es angefangen.
Frohes Neues Jahr.
Nachwort
Als US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld im Jahr 2003 vom »alten Europa« sprach, tat er nichts anderes, als einen Spieß herumzudrehen, mit dem eben dieses alte Europa schon immer gegen die »Neue Welt« gefuchtelt hat: Amerika ist zu jung, um Kultur oder auch nur Geschichte zu haben, Cowboys in Nietenhosen tummeln sich dort zeitlos in amorphen Weiten und schießen erst und fragen später.
Dieses Bild ist insofern richtig, als Amerika das Mittelalter fehlt – aber kommt die Europa prägende Kultur wirklich von den französischen Kathedralen, Richard Löwenherz, den Rittern der Tafelrunde, dem Minnesang und der deutschen Mystik her? Die gesamte Geschichte der Neuzeit teilen wir nämlich mit Nordamerika: Auf die Reformation zurückgehende religiöse Gründe führten zu seiner Besiedlung, und die Ideen der Aufklärung sind dort, lange vor der Französischen Revolution, zur politischen Tat geworden und zu einer Verfassung geronnen, die mit wenigen, teils wieder zurückgenommenen »Nachbesserungen« (amendments) bis heute prächtig funktioniert. Benjamin Franklin, der erste Botschafter im – vorrevolutionären – Frankreich, wurde von den jungen französischen Intellektuellen glühend verehrt als der, der den Göttern den Blitz und den Tyrannen
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