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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
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Wohnung eines anderen Mannes steht - Anna in einem entzückenden Kleid und in ihrer ganzen herrlichen Fülle, das feurige Haar hochgesteckt und gebändigt -, dann über die Schwelle tritt.
    »Komm schon«, sagt Josephine und zieht mich hinein, »willst du deinen Mantel nicht ausziehen?«
    Ich verstehe nichts. Ich sehe nur ihre Schuhe, Stiefel, schwarze, eine ganze Reihe erregender schwarzer Stiefel am Boden, erschreckend wie eine Waffensammlung.
    »Meine persönliche Schwäche«, sagt sie. »Ich gebe mehr Geld aus für Schuhe als für die Miete.« Wie weiter?
    Plötzlich stehe ich ohne Mantel da. Ich wage keinen Raum zu betreten. Ich stehe noch immer im Gang, kaum einen Schritt weit in dieser Wohnung drin.
    »Setz dich doch hin«, sagt sie. Unschlüssig, ob ich die Schuhe ausziehen soll. »Na, komm schon, sei kein scheues Reh.«
    Josephine hantiert in der Küche: »Bier? Oder doch lieber Wein?«
    Wie macht man es sich auf einem fremden Sofa bequem?
    Ich entscheide mich für eine Zeitschrift, die gerade herumliegt (Weltwoche).
    Josephine kommt mit einer Flasche Wein zurück.
    »Ich hoffe, du magst Amarone.«
    Ihre erschlagende Bücherwand. Josephine vor dieser Bücherwand. Die Flasche Wein vor ihrer Figur vor dieser Bücherwand.
    Noch immer die Weltwoche in der Hand.
    »Ja«, sage ich, ich verstehe nichts mehr, es fällt mir nur auf erschreckende Weise auf, wie trocken meine Aussprache ist, meine Zunge - die ganze Vorrichtung, mich mitzuteilen, wie eine verdorrte Pflanze.
    Sie füllt die Gläser.
    Sie nimmt mir die Zeitschrift aus der Hand und läßt sich wie ein übermütiges Mädchen neben mir aufs Sofa plumpsen.
    »Übrigens meint Raphael, ich soll mich auf keinen Fall mit verheirateten Männern einlassen. Und schon gar nicht mit einem Banker. An allen Übeln dieser Welt seien die verheirateten Männer schuld. Und die Banken.«
    »Und wer ist Raphael?« frage ich.
    »Ein Freund. Fantastisch gutaussehend. Logistikchef der Buchhandlung. Leider schwul.«
    »Dann bin ich also eine doppelte Gefahr.«
    »Oder eine doppelte Versuchung.«
    Während wir uns küssen, aber eigentlich erst nach einer langen Weile, als ich mich an ihre Küsse gewöhnt habe, denke ich an die Unmöglichkeit dieser Geschichte, an die Unmöglichkeit dieser Frau, ich stelle mir unseren letzten Abend vor, der sich wie ein Söldnerheer vor dieser hübschen Geschichte aufpflanzen wird, an dem wir uns, gezwungen durch die Wirklichkeit und das, was wir uns selbst unter der Wirklichkeit vorstellen, durch die Macht dieses gigantischen Apparates der Normalität, also durch allerlei nachvollziehbare Gründe, endgültig voneinander verabschieden würden. Ich weiß nicht, was ich denken soll, und ich denke alles. Als wir uns endlich aus den Armen des anderen lösen, schauen wir uns einfach an. Es sind Minuten, die verstreichen, oder Stunden, in denen wir uns anschauen, ohne daß ich den mindesten Antrieb verspüre, etwas zu sagen.
    Josephine, die, auch wenn sie nichts unternimmt, sondern einfach nur dasitzt, ihren verruchten Zauber spielen läßt.
    »Und, wie viele Männer hat dieses Zimmer schon gesehen?« frage ich.
    »Nicht so viele, wie du denkst.«
    »Zehn? Zwanzig?«
    Küsse als Antwort.
    Sie schenkt Wein nach.
    »Ich mag Amarone«, sage ich plötzlich.
    Nichts in der Nähe, wo ich das Glas hätte abstellen können - ich will ihren Hals küssen, und zwar ohne Glas in der Hand. Also stelle ich es auf den Boden. Später, als wir auf dem Boden liegen und uns küssen, uns küssend quer über das ganze Parkett winden, stoße ich es um. Vermutlich mit einem Bein oder dem Fuß oder dem Ellbogen. Ich zerschneide mir den rechten Hemdsärmel an den Scherben. Weinflecken.
    »Los, zieh dein Hemd aus, und komm mit.« Josephine, in ihrer wilden Klugheit, zerrt mich am Arm fort - ins Schlafzimmer. Sie zieht mich auf das Bett. Eine Weile bleiben wir nebeneinander liegen, über uns selbst erstaunt.
    Das kann ich nicht haben, sagt sie und zieht ihren Rock aus. Sie liegt auf dem Rücken, löst den Verschluß mit einer Hand und zieht den Rock in einer einzigen Bewegung über die Beine. So. Dann dasselbe mit den Strümpfen. Dann wedelt sie mit den nackten Unterschenkeln in der Luft. Auch die Brille muß weg. Ich kann es nicht glauben, so schnell und unproblematisch, so natürlich, so verspielt, beinahe geschwisterlich, jedenfalls alles andere als lüstern. Noch habe ich etwas an, sagt sie und lacht ein befreites Lachen und wedelt mit den Füßen - ihr geradezu anständiger

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