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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
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Slip. Seltsame Absenz von Geruch. Wir tollen auf dem Bett herum wie übermütige Äffchen. Wie mädchenhaft sie plötzlich ist, ihre viel zu langen Arme, ihr weißer Körper, schön, aber nicht aufreizend, einfach sehr schön. Eine unheimliche Beweglichkeit, eine fast schwerelose Gewandtheit, wenn sie sich auf mich legt oder ich sie unter einem Kissen hervorziehe. Ihre Brustwarzen sind hart und lang, zwei harte Stecken, ich kann nicht aufhören, diesen Fund immer wieder von neuem zu entdecken, ein, gemessen an der Unscheinbarkeit ihrer Brüste, erstaunliches, ja sensationelles Rätsel dieser Frau. Sie pocht auf Gegenrecht und greift mir an den Gürtel. Ich bin der Meinung: Bis hierhin und nicht weiter! Sie nimmt es als Koketterie, meinen Anflug freiwilliger Selbstkontrolle, als Spiel, als ein noch zu eroberndes Terrain unter der Hose, sie jubelt und zerrt an meinem Gürtel herum, und wir drehen uns mehrmals um die eigene Achse, verlieren uns unter den Decken und Kopfkissen. Ihr Haar in allen Richtungen zerzaust, und wenn sie innehält und verschnauft, dann sieht das im grauen Licht manchmal wie verspritzter Mörtel aus. Ich fahre mit zehn Fingern in ihr Haar und balle sie zu Fäusten, er ist anstrengend, dieser Kampf - den sie schließlich gewinnt.
    Bis in die Morgenstunden liege ich wach, unfähig wie ein Verrückter, meine Gedanken zu ordnen. Ich sitze auf der Bettkante, vergrabe mein Gesicht in den Händen. Ich stehe auf, schlüpfe in meine Hosen und genieße die augenblickliche Kühle des Stoffes. Ich ziehe den Gürtel straff, ich ziehe ihn eng, als müßte ich etwas abschnüren. Hinter den Fensterscheiben das Felsgrau des Morgens. Ich setze mich auf einen Stuhl, der herumsteht - nicht erschöpft, nur durcheinander, in einer verruchten Art stolz. Sie liegt auf dem Rücken, dieser fremde Körper aus Wachs, einen Arm über ihr Gesicht geschlagen. Das Heben und Senken ihrer Brust.
    Auf der Heimfahrt, bei vollem Tempo, reiße ich das Weinfleckenhemd von meinem Körper und werfe es durch die heruntergelassene Scheibe in den dunklen Morgen hinaus. Anna schläft. Ich dusche nicht. Ich lege mich zu ihr und denke: Sie wird ihn riechen, diesen fremden Geruch. Ich kann kein Auge zumachen. Ich wage sie nicht einmal zu berühren. Ihr Atem ist schwer, er geht stoßweise, einmal zuckt ihr rechtes Bein, dann ist es wieder still, vermutlich ein wüster Traum, ich möchte aus meinem Kopf heraus - und in ihren Kopf hineinsteigen, aber vor allem aus meinem Kopf heraus. Und ich weiß, was ich soeben gedacht habe, und es schaudert mich angesichts dieses Gedankens: daß ich nur noch einschlafen kann, wenn ich an eine andere denke. Dann habe ich selbst einen wüsten Traum: Ich stehe mitten in einem Ring wie an einer Börse, darum herum aufgereiht hundert Telefone - altmodische, schwarze Apparate mit Wählscheiben. Das erste klingelt, ich hebe ab, ein Freund ist dran und fordert: »Erzähl mir von Josephine.« Sobald ich aufhänge, klingelt schon das nächste. Ein anderer Freund: »Erzähl mir von Josephine.« Und so weiter. Immer schneller. Zuerst noch im Kreis, doch allmählich klingeln sie kreuz und quer hindurch, ich darf keinen Anruf verpassen, renne von Apparat zu Apparat, ein Gewirr an Hörern balancierend. Ich verheddere mich im Kabelsalat, Kabel um meine Arme, meine Brust, meine Beine, um meinen Hals gewickelt. Wie ein gefangenes Tier drehe und winde ich mich inmitten dieses Rings, ich versuche zu schreien, aber es geht nicht, die Kabel erwürgen mich.
    Den ganzen folgenden Tag bin ich mit nichts anderem beschäftigt, als an Josephines warme, dünne, erregende Arme zu denken. Die Meetings, die Kundentelefonate, die Sorgen der Mitarbeiter, alles perlt an dieser gesteigerten, süßen Vorstellung ab. Ich sehe Josephine, wie sie eine Straße überquert, ihren stolzen, grazilen, federnden Gang, während ich vor unserer Marketingabteilung über die neuesten Derivativ-Produkte referiere. Ich rieche sie im Computerraum. Ich höre sie sprechen, wenn ich mit einem Klienten verhandle. Josephine hat meinen Tag gestohlen und noch viel mehr. Gleichzeitig verstehe ich nicht, mit welcher Unverfrorenheit ich Anna betrüge, diesen Engel von vierzehn Jahren Ehe. Ich verstehe nicht, wie ich ihr je unter die Augen treten kann, um sie zu belügen, ich spüre die Schärfe dieser Lüge, und ich spiele mit der Absicht, mir einzureden, daß ein Seitensprung nichts zwingend Negatives sein muß, im Gegenteil, daß er einer Ehe geradezu die Festigkeit geben

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