Himmelreich
kann, die folgenden Jahrzehnte zu bestehen, daß, weil in die Tat umgesetzt, der rein gedankliche Betrug mich nun für immer befreit hat, daß ich jetzt treuer bin als vorher, daß ich auch reifer bin und damit ein besserer Ehepartner, weil dieser Schritt, den, wie man behauptet, nahezu alle erfolgreichen Männer begehen, einer Art Initiation gleicht, vielleicht auch einer Art Revolte - eine einmalige Erfahrung wie die erste Selbstbefriedigung -, ein Ereignis, das die Verkrustung der Gedanken und Gefühle für die kommenden Jahre in ein natürliches, unverspanntes Verhältnis zurückführen wird. Vielleicht, so versuche ich mir glaubhaft zu machen, ist der Betrug - und mit ihm alles Abfällige und Niedere - das Menschliche schlechthin. Und doch habe ich nicht erwartet, mir so schlecht vorzukommen. Einmal, mitten in einer Sitzung, renne ich auf die Toilette, Schweiß auf der Stirn, ich bücke mich über die Toilettenschüssel und kann nicht erbrechen. Ich halte meinen Kopf unter den Wasserstrahl, werfe mir Wasser ins Gesicht, fahre mir mit den tropfenden Händen durchs Haar und zerre, bis es schmerzt, dann setze ich mich wieder auf die Schüssel.
Time to Destination: 6 Hours 02 Minutes.
Der Fluch der Affäre: Sie weiß von der Ehe, während die eigene Frau nichts von der Affäre weiß, zumindest eine Weile lang. Informationsvorsprung der leichteren, spielerischeren, vergnüglicheren Beziehung.
Time to Destination: 6 Hours 01 Minute.
Momentan über Dublin, das bestätigt der Monitor über meinem Sitz, weit unten die Küste. Alles jetzt auf zwei Dimensionen verteilt - die Straßenzeilen und Quartiere wie aufgebrochene Erde voller Risse, die Hügel, die Felsklippen, die ganze Architektur dieser Stadt, jetzt als Farbtöne, nichts weiter. Draußen wälzt sich eine Erdoberfläche vorbei, und ich kann mich nicht entscheiden, ob ich die Erde als groß oder klein bezeichnen soll. Je älter man wird, desto kleiner wird sie.
Begonnen mit dem Neujahrstag - einem kurzen, blauen Tag, knackend vor Kälte und mit einem Himmel wie Emaille - und den ganzen nachhuschenden Winter hindurch - Januar, Februar, März - verabredeten wir uns mindestens einmal die Woche, meistens bei ihr zu Hause. Das quälende Gefühl des Betrugs wich allmählich einem leichteren Zustand, so als hätte ein neues Regime Einzug gehalten, ein verspielteres. Drei Monate lang war ich damit beschäftigt, mir einzureden, daß man zwei Frauen gleichzeitig lieben kann und man damit einen Beitrag zur Vermehrung des Glücks auf Erden leistet. Natürlich sagte ich Anna kein Wort, und die Selbstverständlichkeit, mit der ich mich mit Josephine traf, ließ kein Anzeichen dafür aufkommen, daß ich irgend etwas zu verheimlichen suchte. Es war, als hätte ich einen regelmäßigen Termin beim Fitnesstrainer. Die Selbstverständlichkeit irritierte nur mich. Die Qualen kamen nicht, wenn ich mit der einen oder anderen Frau schlief, die Qualen prügelten mich, wenn ich allein war, in jenen ganz kurzen Zeitschlitzen, zum Beispiel beim Rasieren am Morgen oder beim Betätigen der Toilettenspülung.
In diesen Wintermonaten verwandelte sich die Qualität unseres Zusammenseins. Ihr Reiz war natürlich nicht wegzudenken, aber es schlich sich eine Art aufbegehrende Klugheit in unsere Beziehung, eine Attraktion, die ihren Kern in einem Disput hatte. Es war das Zerren an einem intellektuellen Strick, das uns zunehmend erregte.
Für mich hat Realität den ungeheuren Vorteil, daß sie eindeutig ist, das heißt, man kann mit dem Finger auf sie zeigen. Realität ist, wenn man sie genauer untersucht, frei von Interpretation. Ein Problem - zum Beispiel in der Buchhaltung - stellt sich beim genauen Hinsehen als das immer gleiche Problem dar, egal wer es untersucht. Die Wirklichkeit wird damit zum Objekt der Verständigung, und ein Problem überläßt sich auf diese Art den fähigen und ordnenden Händen des Managements.
Für Josephine hingegen war Fiktion genauso ein Erlebnis wie die Wirklichkeit, und je ausgefallener eine Geschichte daherkam, desto höher schlug ihr Herz. Was sie liebte, waren Bücher, die es verstanden, zu verführen.
»Also Kitsch«, meinte ich.
»Nein, einfach gute Geschichten«, sagte sie dann.
Josephines ungezügelter Hang zur Phantastik. Für mich war Josephine die klassische Frau, die sich in der Fiktion verlor.
Oft las sie mir vor, wohl wissend, daß ich mir nicht viel aus Romanen machte. Ich lag auf dem Parkett ihres Wohnzimmers, auf der Seite, den Kopf
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