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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
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Ein Einminutenfeuerchen. Ist es das, was du willst?«
    »Die Noten sind numeriert.« Ich versuche, sachlich zu bleiben.
    »Es ist mein Geld, verstehst du? Ich bin die Entführerin.«
    Sie haßte mich. Sie war sauer, daß ich interveniert hatte, sauer wie jede Frau, wenn man sich in ihre Angelegenheiten einmischt. Aber es war nicht ihre Angelegenheit, genaugenommen war es meine, meine Karriere, die auf dem Spiel stand, mein Ruf, meine Ehe, mein Leben. Sie war beleidigt, und ich war nicht etwa bereit, mich durch ihr weibisches Gemüt einschüchtern zu lassen. Wenn eine Frau meint, mich durch Emotionen zu zwingen, so gibt es für mich nur eins: entschiedenes Handeln. Demonstration von Überlegenheit nicht durch Argumentation, sondern durch Tat. Ich habe es nie anders gehalten mit Frauen. Ich hatte es nie nötig, offen gestanden.
    »Genug. Wir sorgen hier nur für Aufregung«, pruste ich Josephine ins Ohr und reiße ihr die Nylontasche mit der Million aus der Hand, tauche in der Menschenmenge unter und bahne mir einen Weg zur Basilika. Ein grauer Herr in Smoking und Zylinder begrüßt mich mit einer weit ausladenden Verbeugung und öffnet mir die Kirchenpforte - offenbar glaubt er, ich sei ein verspäteter Gast der Hochzeitsgesellschaft. Ich grüße zurück, und erst jetzt fällt es mir auf, daß ich ja noch immer meinen dunklen Geschäftsanzug trage, den Anzug, den bequemsten meiner Nadelstreifenanzüge, jenen, den ich normalerweise für Langstreckenflüge trage. Vor dem Altar stecken sich Braut und Bräutigam gerade die Ringe an, aber das interessiert mich nicht, ich finde den Aufstieg zur Turmspitze - warum Turmspitze? - es fällt mir nichts anderes ein, als das Geld in der Turmspitze zu verstecken. Also die enge Wendeltreppe hoch - gerade breit genug für zwei Füße und normal gewachsene Schultern -, der kalte, abgegriffene Stein, zwischendurch eine winzige Scharte, durch die sich die Sonne zwängt, sonst ist es dunkel. Ich muß mehrmals stehenbleiben und verschnaufen, unmöglich kurz und steil sind die Stufen, mit jeder Lichtscharte sehe ich den Platz aus einer größeren Höhe, ich erkenne die Stände, ihre Zeltplanen wie grünliche, unsauber aneinandergelegte Dominosteine, von der nächsten Scharte aus wie zusammengebundene Flöße, die in der brodelnden Menschenmenge treiben, immer weiter schraube ich mich hoch, bis ich den Glockenstuhl erreicht habe. Hier setze ich mich auf die letzte Treppenstufe, erschöpft. Die gotische Steinziselierung der Seitenöffnungen als Scherenschnitt auf dem knorrigen Holzboden. Dieses Licht! Diese Luft! Dieser Platz! Erstmals erfasse ich ihn in seiner vollen Ausdehnung, ein nicht ganz gelungenes Rechteck, dafür großzügig, die den Platz säumenden Bauten wie verzierte Streichholzschachteln, Seefahrerprunk aus dem 16. Jahrhundert, Manuelik. Über mir die Glocken, drei Stück, scheinbar schwebend, diese riesenhaften, tonnenschweren Eisenschalen. Wohin mit dieser verdammten Million?
    Plötzlich bricht das Geläute los, zuerst ziehen die Glocken knarrend an, dann legen sie los und erzeugen, was ihrer Bestimmung entspricht, ein Gedonner, das mich augenblicklich in die Hocke fallen läßt. Ich bohre meine Finger in die Ohren, aber ich kann sie verstopfen, wie ich will, die Schwingungen erfassen den ganzen Körper und wandern durch die Knochen zum Schädel hinauf, so daß der Schall von innen her an das Trommelfell schlägt. Ich greife nach einer Eisenstange, die herumliegt, einer, so scheint es, verrosteten Drehkurbel, und stoße sie seitwärts in den Kettenantrieb. Es knackt, und die Mechanik kommt zum Stillstand. Die Glocken schwingen noch eine Weile weiter, wobei der Klöppel den Glockenrand nur noch drei-, viermal trifft, danach ist der Lärm verebbt und mit dem Lärm meine Aufregung. Wie unsinnig, denke ich auf einmal, das Geld hier oben zu verstecken - überhaupt, Geld zu verstecken, so wie die Eichhörnchen ihre Nüßchen verstecken -, auf einmal kommt mir das ganze Vorhaben so einfältig vor, so primitiv, so beispiellos barbarisch. Noch immer zitternd und in der Hocke kauernd, krame ich die Notenbündel aus der Tasche. Dann stehe ich auf, wobei mir leicht schwindlig wird, und werfe die Geldscheine durch die ziselierte Turmöffnung in den Wind hinaus.
    Nach einer Weile öffnet sich die Hauptpforte der Basilika. Fetzen von Orgelmusik. Die Herrschaften strömen aus der Basilika, nahe stehen sie beisammen, von oben sieht das aus wie verschütteter Brombeersaft. Ich schaue den

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