Himmelreich
mitten in die Stadt hinein, Porto, Josephine am Steuer wie immer, ihre Lust, über die Pflastersteine zu rollen, das Trommeln der Unebenheit, man kommt sich vor, als würde man schweben, als würden die Reifen von Pflasterstein zu Pflasterstein hüpfen, Josephine hemmungslos selbst in den Kurven. Wir parken. Zeit für einen Kaffee, meine ich, ein weiter, lichter Platz, Campo das Flores, tatsächlich, ein Blumenmarkt in vollem Gang, Dutzende von Ständen, die aus nichts anderem als Brettern und darübergespannten Planen bestehen, Latten wie kleine Emporen, auf denen die mit Wasser gefüllten Eimer stehen, darin die Blumen, überquellend, sortiert nach Arten und Farben, auch gebundene Sträuße, Topfpflanzen, Sukkulenten, aber vor allem Schnittblumen. Stände, einer neben dem anderen, der ganze Platz ist voller Blumenstände, Gedränge wie auf einem Jahrmarkt. Es scheint, daß man nicht hierher kommt, um Blumen zu kaufen, sondern um zu flanieren, um ab und zu eine Rose herauszuzupfen, an ihr zu riechen und sie wieder in den Eimer zurückzustellen. Ja, es scheint sogar, daß selbst die Händler nicht hier sind, um Blumen zu verkaufen, sondern um sie auszustellen, um der Welt zu zeigen, welche Prachtexemplare sie in ihren Gewächshäusern gezogen haben. Glockengeläute, eine Menschentraube vor der Basilika am Ende des Platzes, eine Hochzeitsgesellschaft, Menschen in feierlichster Kleidung, die sich scheinbar nicht entscheiden können, ihr Herumstehen im Sonnenschein, ihr Flanieren und Lustwandeln in der Öffentlichkeit gegen einen Platz auf den hölzernen Bänken des Kircheninneren zu tauschen. Das alles beobachte ich nur aus der Entfernung und zwischen den Blumenständen hindurch, durch die mich Josephines Hand führt. Blumen in allen Farben, in allen Formen, es ist erstaunlich, daß die Evolution eine solche Vielzahl hervorgebracht hat, und ich frage mich, aus welchem Grund.
Ich mache mir, offen gesagt, nicht viel aus Blumen. Ihr Problem ist nicht der ästhetische Reiz, auch nicht der Preis, sondern ihre Haltbarkeit. Darum lieber Topfpflanzen, wenn es schon etwas Natürliches sein muß. Ich bin ein Mensch, der sehr gut ohne Natur auskommt. Pflanzen in einem Büro zum Beispiel irritieren mich, ich habe dann das Gefühl, sie würden sich verselbständigen, irgendwie zu wuchern beginnen, Ranken schlagen, mitten in der Nacht alles durcheinanderwühlen, was an Papieren und Dokumenten vorhanden ist. Natürlich ist es idiotisch, so über Pflanzen zu urteilen. Und was Schnittblumen betrifft, so ärgert mich, wie gesagt, ihre Haltbarkeit, die Tatsache, daß manchmal schon nach einem Tag Blütenblätter auf dem Tisch liegen, später sogar Blütenstaub, besonders bei Tulpen, Blütenstaub an den Händen, der, wenn man nicht aufpaßt, bald an Hemd und Krawatte zu finden ist, ja sogar auf den Power-Point-Folien, gelber Staub, den man nicht einfach wegblasen kann, sondern der sich hartnäckig festkrallt, als stünde Absicht dahinter, ein Wille, das ist es, was mich durcheinanderbringt, dieser verruchte Wille der Natur. Es irritiert mich, daß sie sich verändern von Tag zu Tag, daß sie vergehen, es irritiert mich, daß sie jeden Tag neues Wasser brauchen. Dieser irre Bedarf nach Frischwasser.
Ich wäre, wie gesagt, für einen Kaffee gewesen oder für Weiterfahrt, aber Josephine kann es nicht lassen, sie nimmt mich an der Hand, zerrt mich in das Blumengewühl hinein. Ich frage mich, warum wir ausgerechnet jetzt Rosen brauchen, mitten in einer Entführung, dabei werden wir verfolgt, ich weiß es, sie weiß es, man ist hinter uns her, die Sicherheitsleute der Bank, schon von allem Anfang an. Josephine kauft Sträuße wie für eine Königin.
Endlich sage ich: »Genug!« Ich bleibe demonstrativ stehen. Aus dem Schwung heraus macht Josephine noch ein paar Schritte, dann bleibt auch sie stehen und dreht sich um: »Die sind nicht für uns, die verschenken wir jetzt.«
»Verschenken - an wen?«
»Hier, die Leute, die Stadt. Rückführung des Lösegeldes in den ökonomischen Kreislauf. Ganz einfach. Es sollen alle etwas davon haben.«
»Sei nicht albern.«
»Irgendwie müssen wir doch diese Million vernichten.«
»Aber doch nicht so - nicht so dilettantisch.«
»Was schlägst denn du vor? Vermehren? In Hedge-Funds investieren? Emerging Markets, High-Yield-Bonds, Futures und Options und wie ihr Banker diesen Quatsch sonst noch bezeichnet? Hast du eine bessere Idee? Wir könnten sie anzünden, die Million, hier mitten auf dem Platz.
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