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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
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Scheinen hinterher, wie der Wind sie fortträgt. Laub. Geldlaub. Ich reiße die letzten Bündel auf und verschleudere sie mit vollen Händen. Jawohl, wenn schon verschleudern, dann richtig verschleudern, alles verschleudern! Ich bin kein Bankdirektor mehr, nein, ich bin das Gegenteil, ein Schurke, ein Gauner, ein Erpresser, ein Bandit, ein Schwindler, ein Lügner, kurzum, ein Mann mit einem befreiend spontanen Verhältnis zur Wahrheit und einem noch spontaneren Verhältnis zum Eigentum - und vor allem bin ich verliebt, entbrannt, jawohl, vernarrt. Nein, ich will nicht, daß diese Entführung aufhört, ich will, daß sie immer weitergeht, eine nie mehr endende Lustfahrt rund um die Welt. Ich will diese Geschichte. Ich will sie! Ich will, was diese Geschichte ausmacht, ihre unerhörte Beliebigkeit, ihre mäandernden Flußläufe, ihre verworrene Paradoxie, ihren ausschweifenden Kitsch - ich will sie! Ich renne die Turmtreppe hinunter, so schnell ich kann, und je breiter die Wendeltreppe wird, um so weiter öffnen sich meine Arme, ich winde mich hinunter, ich drehe und drehe und sause wie ein von einem Hornissenschwarm Verfolgter, ich mag es kaum mehr erwarten, um ihre Hand anzuhalten, Josephines Hand!, natürlich ist es widersinnig, komplett abgedreht, besonders als verheirateter Mann, aber ich lache nur, ich lache laut heraus, während ich die Treppe hinuntereile, Stufe um Stufe in engen, hastigen Schritten und blind vor Eifer, ich jauchze vor Glück. Unten angekommen, steht sie bei der Tür. Josephine hat auf mich gewartet: »Los, weg von hier.« Sie zerrt mich am Arm.
    Draußen spielt der Wind noch immer mit dem Geld. Die Noten flattern, rieseln, kullern, einige bleiben in den Ästen hängen, dann und wann ein Windstoß, und sie segeln weiter oder wirbeln auf dem Pflasterstein. Die Hochzeitsgäste können es nicht fassen, Geldscheine, zuerst nehmen sie's als Gag, als Hochzeitsspaß, so wie man nach der Trauung Rosenblüten in die Luft wirft oder Bonbons. Ich sehe Leute, die die Geldscheine aufheben, durch die Finger ziehen und sie wieder fallen lassen, offenbar der Meinung, es handle sich um Falschgeld, Blüten. Viele aber stürzen sich auf die Scheine, stopfen sie in ihre Manteltaschen, es werden immer mehr, die an das Wunder glauben, selbst die Braut löst sich jetzt aus dem Arm des Bräutigams, rennt dem Wind nach und versucht, Scheine mit dem Fuß zu stoppen - das ist nicht leicht in ihrem Brautkleid, und so verhaspelt sie sich im schneeweißen Seidenstoff, sie fällt hin, fällt in ihren weichen, bauschigen Rock hinein und rappelt sich aus eigener Kraft wieder hoch - die Banknoten flattern immer weiter, bald gleicht die Hochzeitsgesellschaft einem Haufen Blindwütiger. Immer mehr Menschen strömen vom Blumenmarkt zur Basilika hinüber. »E real. E dinheiro real!« - es ist richtiges Geld, was da vom Himmel fällt. Und jetzt läuten auch die Glocken wieder, und wenn man genau zuhört, so sind es die Kirchenglocken einer ganzen Stadt.
    Vor dem Kirchenportal wartet ein Bus mit laufendem Motor. Vorne ziert ein Bouquet von olympischer Wuchtigkeit die Kühlerhaube. Kein Mensch in dem Bus. Nicht einmal der Fahrer. Wir beraten nicht lange: Josephine auf dem Fahrersitz, ich daneben, ein Knopfdruck, und die Türen schließen mit einem Zischlaut. Wir fahren. Davon.
    Coimbra. Ein später Nachmittag. Auf einmal finden wir uns auf dem Gelände der Universität, alles hell, glühend, Stein in der Farbe von Mehl, das Licht zitternd, richtungslos, ein Schwirren von Helligkeit. Weil wir die Straße zum Bahnhof nicht finden, fahren wir auf den Universitätsplatz und parken just unter dem von ionischen Säulen getragenen Tympanon der juristischen Fakultät. Die Studenten schwirren wie Tauben auf dem Platz umher, keiner scheint von unserem Hochzeitsbus auch nur die geringste Notiz zu nehmen. Minuten später stehen wir auf der hohen Terrasse des Platzes, Sonnenuntergang, unter uns die Straßen und Dächer der Stadt, weißgelb wie die Gebäude der Universität, mehlig, alles leicht, schwebend wie Helium.
    Ich kann Josephine nicht anschauen ohne das Verlangen, sie zu umarmen, ohne diesen unbedingten Impuls, ihren Körper zum hundertsten Mal nachzufahren, ihre Schlankheit zu begreifen, diese Leichtigkeit eines Körpers, diese wirkungsvolle, aufrechte Art, wie sie in meinen Armen steht. Jetzt legt sie ihre Brille auf die Steinmauer, die den Platz umgibt, damit sie mich besser küssen kann. Ich stehe mit dem Becken an diese Mauer

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