Himmelreich
Budget.
»Also geradeaus weiter. Überflug der Küstenlinie. Das Wasser hell, grünblau wie Stauseen in der Schweiz, aber glasklar, Sicht auf die dunklen Korallenbänke, unsere Maschine will noch immer nicht richtig steigen, dabei alles im grünen Bereich, wie gesagt. Keine Ahnung, aber irgend etwas stimmte nicht. Plötzlich, es muß etwa fünf Minuten nach dem Überflug der Küstenlinie gewesen sein, also schon einige Meilen auf dem Atlantik draußen, die Küste Floridas nur noch als Filzstiftstrich sichtbar, die markantesten Gebäude wie Holzspielzeuge auf diesem schnurgeraden Strich: Ausfall des rechten Motors, das heißt zuerst Feuer, Flammen, die über den ganzen Flügel hinwegzogen, wie Seidentücher sah das aus, wie indische Saris, die sich hinter dem Flügel verwirbelten, an anderen Stellen des Motors stiegen kleine, blaue Flammenzungen hoch, dann Rauch, dann Stillstand des Propellers.«
»Einmotorig weiterfliegen«, meine ich, indem ich meinen Kalender gelassen beiseite schiebe, »dafür sind diese Flugzeuge ja ausgelegt.«
»Sie können sich vorstellen. Mit diesem Übergewicht. Also Schwenker nach links, Steilkurve, Drehung um 180 Grad, zurück zur Küste, wir verlieren während dieser Kurve massiv an Höhe, dazu kommt noch der Widerstand des stehenden Propellers. Wir sacken ab. Meter für Meter. Immer näher kommen wir der Wasseroberfläche. Die Korallenbänke jetzt wie verschwommene Wälder im Kristallwasser. Es hatte keinen Sinn, Frank zu bitten, die Cargo-Tür aufzureißen, um die Melonenkisten ins Meer hinauszustoßen, um Ballast loszuwerden, uns fehlte die Zeit für solche Manöver. Dann: Gleiten über dem Wasser, das Fahrwerk hatten wir ja eingezogen, ab und zu schlugen uns die Wellenkämme an den Rumpf, aber wir flogen, wir schwebten, wir glitten. Wir flogen tatsächlich. Haben Sie schon einmal Pelikane beobachtet?«
Natürlich kenne ich den Bodeneffekt, noch aus dem Physikunterricht, Minimierung der Turbulenz, damit laminare Strömung, damit Minimierung des Luftwiderstandes, dadurch schweben Vögel - bei weitem nicht nur Pelikane - scheinbar antriebslos in der Luft, ohne Wind und ohne Flügelschlag, warum sollen die physikalischen Gesetze für seine DC-3 nicht mehr gelten, also bitte schön, damit kann er mich nicht beeindrucken.
All das, was er jetzt erklärt, hätte ich ihm auch erklären können und noch viel mehr, Wichtigeres, Relevanteres, tausendmal Bedeutungsvolleres. Und während er über den Bodeneffekt referiert, winke ich nach der Stewardess, damit sie uns noch zwei Espresso bringt zur Verdauung dieser schalen Geschichte.
»Der andere Motor jetzt erst recht auf Vollgas. - Sie hätten Frank sehen sollen, wie er dasaß, kreidebleich. Wir donnerten über die Wellen, und Frank klammerte sich mit beiden Händen an den Sitz, die Augen zu Schlitzen gezogen. Natürlich konnte ich nicht mehr auf ihn zählen, erstarrt wie er war. Immer näher kommen wir dem Küstenstrich. Ich wußte, steigen können wir nicht mehr, also Landung auf dem Strand. Zum Glück war es früh am Morgen, noch keine Massen von Badenden, höchstens der eine oder andere Jogger, ansonsten menschenleer.«
Natürlich: eine Strandlandung. Ich finde sie, ganz ehrlich, idiotisch, seine Geschichte. Ich weiß nicht, warum, aber immer wenn Leute von Notlandungen, und noch dazu im Sand, in Wüsten oder auf Stränden, erzählen, muß ich lachen. Ich glaube keine dieser Geschichten, aus Prinzip.
»Kurz bevor wir den Strand erreichen, kappe ich die Treibstoffzufuhr zum noch laufenden Motor.«
»Um eine Explosion beim Aufsetzen zu vermeiden«, werfe ich ein.
»Natürlich. - Es rüttelt und hustet, dann steht auch der zweite Motor still. Zwei starre Propellerkreuze im Himmel. Totenstille. Wir segeln wie ein Pelikan über die Wellenbuckel. Ground-Effect. Nur noch das Rauschen des Flugwindes. - Also Aufsetzen auf dem Sand mit eingezogenem Fahrwerk. Wir drehen uns mehrmals um die eigene Achse, es lärmt, es rumpelt und rasselt, dann stehen wir still.«
Zum Glück kommen die zwei Espresso.
»Eine schöne Geschichte«, sage ich, »danke.«
»Moment - sie geht weiter! Melonen, kistenweise Melonen, der Rumpf unserer Maschine war zerbrochen, und überall lagen Melonen, Tausende von Melonen über den ganzen Badestrand von Miami Beach verstreut, grüne, schwere, leuchtende Fußbälle, einige rollten ins Wasser hinein, bald trieb ein ganzer Teppich voller Melonen ins Meer hinaus. Und dann...«, er trinkt den Espresso in einem Zug leer, er
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