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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
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angelehnt. Noch empfinde ich es jedesmal als eine Sensation, sie so zu halten. Wie leicht sie ist, wie unerhört elastisch, unvorstellbar, sich je an diesen Körper zu gewöhnen.
    Als wir uns aus unseren Armen lösen, ist es Abend. Das Licht der Scheinwerfer auf den steinernen Gebäuden. Weichspülung resoluter Architektur. Die Universität jetzt in der Farbe von Mond. Alles sehr unwirklich.
    Am nächsten Morgen nehmen wir ein Taxi zum Bahnhof. Die Virtuosität, mit der wir die Transportmittel wechseln, zerstreut unsere Bedenken, daß uns das internationale Polizeiaufgebot jemals wird einholen können. Sie macht uns geradezu euphorisch. Wir lösen erste Klasse und besteigen aus Versehen einen Bummelzug, was uns nicht das geringste ausmacht. Ich fühle mich wie einer, der den gewöhnlichen, sich Schritt für Schritt im Erdstaub vorwärts mühenden Alltagsmenschen entflohen ist. So lustvoll und strahlend bin ich, es hätte nicht viel gefehlt, mich als Muster einer neuen Spezies zu definieren.
    Josephine liest mir vor, während wir durch die portugiesische Campagna schaukeln. Ausgewählte Abschnitte. Sie liest vor, dann liest sie streckenweise wieder für sich. Aus dem Exemplar, das sie stets in ihrer Handtasche mit sich führt, dem einzigen der mindestens fünfhundert Exemplare, die wir aus der Schweiz entführt haben und die noch jetzt in Porto liegen, in unserem Jeep Cherokee, zusammen mit meinem Trolley und meinen Reiseunterlagen für New York. Ich höre nur wegen ihrer Stimme hin, ihrer knappen, aber begehrlichen Stimme, denn eigentlich langweilt mich diese konstruierte Irrfahrt über achthundert Seiten, aber ich sage nichts und höre zu und beobachte die Landschaft, die sich hinter den Scheiben produziert: »Mr. Leopold Bloom aß mit Vorliebe die inneren Organe von Vieh und Geflügel...«
    Time to Destination: 2 Hours 42 Minutes.
    Seatbelt Sign on - wegen Turbulenzen.
    »Da kommt mir die Geschichte mit der DC-3 in den Sinn«, sagt mein Sitznachbar, während er die Sitzgurte festzieht, »darf ich sie Ihnen erzählen?«
    Ich bin ihm ausgeliefert, so oder so. »Bitte«, sage ich.
    »Übrigens: Sie sollten Ihre Gurte ein bißchen fester anziehen, man weiß nie, auf 33 000 Fuß.« Ich werde ihn noch umbringen.
    Er beginnt zu erzählen: »Cargo-Flug mit diesem Museums-Vogel, Destination Nassau, Bahamas, Melonen in Holzkisten verpackt als Fracht, eine ganze Maschine voller reifer Melonen, die schwer sind wie Wasser. Start in Miami, die beiden Motoren auf Vollgas, das tiefe, volle, runde Brummen, Start Richtung Osten, Runway 09, Anrollen wie in Zeitlupe, mehr Kriechen als Rollen, das Zittern der Nadel des Geschwindigkeitsmessers als einziger Hinweis, daß es vorwärts geht. Nach einer Weile hebt das Schwanzrad ab. Rollen auf den zwei Hauptfahrgestellen. Aber: Etwas stimmt nicht. Der ganze Vogel wie Blei. Dazu der mörderische Gestank reifer Melonen im Cockpit. Ein Blick auf die Motorenanzeige bestätigt: Motorenleistung im grünen Bereich. Die rechte Hand weiterhin auf Vollgas, also nach vorne gestoßen, die linke am Steuerhorn, mit voller Muskelkraft nach hinten gezogen, ich muß fast stehen im Cockpit, breitbeinig, so stark sind die Kräfte, die mein Körper zu koordinieren hat, auch Frank hilft, mein Copilot, auch er zieht an der Steuersäule, dabei ruft er die Geschwindigkeit aus - 70 Knoten, 75 Knoten, 80 Knoten, 85 Knoten -, dann das Pistenende, das Gras nach dem Pistenende, das Rumpeln auf dem Gras, dann das Abheben, ein Baumwipfel, den man unter der Maschine verschwinden sieht und dann als Schlag gegen das Fahrgestell hört, die Dächer der amerikanischen Zündholzschachteln, in denen dieses Volk lebt, weit vorne der Küstenstrich, Miami Beach, das Meer im Sonnenaufgang. Wir steigen in Zentimetern. Einziehen des Fahrgestells. Noch immer Vollgas, sogenannte Firewall-Power, obwohl es den alten Motoren nicht gut bekommt. Es bleibt nur der Geradeausflug, jede Kurve hätte Energie vernichtet und damit Höhe. Alles sehr merkwürdig. Was tun?«
    Er erzählt die Geschichte, als hätte er sie für eine Fernsehshow auswendig gelernt, so geglättet kommt sie daher.
    Nochmals: »Was tun?«
    Ich blättere, während er offensichtlich auf eine Antwort wartet, in meinem Kalender, streiche Tasks, die bereits erledigt sind oder die zu erledigen ich keine Lust habe - Meeting mit der PR-Verantwortlichen zwecks Entwurf einer neuen Image-Broschüre, Vorschlag des neuen Bonus-Systems zuhänden des Kompensations-Ausschusses,

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