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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
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Fieber. Sobald man auf die Straße trat, war man naß vor Schweiß. Das Hemd klebte einem am Körper, der Kragen war schon nach kurzer Zeit braungelb, und wenn dann doch mal ein Windstoß kam, dann war es meistens ein vorbeibrausender Lastwagen oder eine Schütte heißer Luft aus der Subway. Man trug das Jackett nicht, auch nicht über die verschwitzte Schulter gelegt, sondern hängte es an den Finger wie an einen Haken. Selbst die Gedanken klebten. Man dachte nur daran, sich möglichst schnell von einem klimatisierten Gebäude ins andere zu retten. Regen, wenn er endlich kam, als dampfender Erguß. Nach dem Regen der rezente Geruch von Asphalt. Er konnte tagelang in den Straßenschluchten liegenbleiben. Man schnitt sich die Haare kürzer. Man weitete den Krawattenknoten schon am Morgen, schlürfte Eiswasser statt Kaffee und ließ sich die Mittagsverpflegung ins Büro liefern.
    Mit der Zeit vergaß ich Josephine dann tatsächlich.
    Arbeit, das war wie ein guter Freund, der mich an der Hand nahm und mich auf den vertrauten, geradlinig ansteigenden Pfad zurückführte. Ich war dankbar für New York.
    Wir telefonierten fast täglich miteinander - Anna und ich. Ich rief sie an, wenn sie zu Bett ging, also nachmittags New Yorker Zeit, hin und wieder war sie nicht zu erreichen, und ich machte mir nichts daraus, auch ich war häufig unterwegs in diesen Monaten, jedenfalls, so war mein Eindruck, redeten wir öfter miteinander als damals in Zürich. Manchmal rief sie mich zu Hause in meinem Apartment an, mitten in der Nacht, und riß mich aus dem Schlaf. Sie berichtete, ich berichtete - Begebenheiten, Freunde, Job -, und es verwunderte mich, daß es mich tatsächlich interessierte, ich hörte zu, nicht aus Anstand, sondern um ein Gefühl dafür zu kriegen, wer das war, der da am anderen Ende redete. Ich stellte sie mir vor, Anna, ihre hübsche Fülle, ihre lichtscheue Haut, ihr starkes, spiraliges Haar, das mit einer nicht zu übersehenden Üppigkeit ihrem Schädel entsprang und sich, selbst wenn sie es hochgesteckt hatte, unbändig und leuchtend ineinander verschlang, Haar in der Farbe von Kirschholz. Anna, eine schöne Frau - ich brauchte es mir nicht täglich einzureden. Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn sie sich ebenfalls nach New York versetzen ließe, über eine assoziierte Anwaltskanzlei zum Beispiel, ich stellte es mir vor, unser Leben zu zweit in dieser Stadt, es müßte möglich sein. Die ganze Zeit gab ich mir größte Mühe, die minimalen Veränderungen nicht zu bemerken, die geringfügigen Verschiebungen im Tonfall, die Art, wie wir uns gegenseitig auf dem laufenden hielten, und die feine Technik des Aussparens und Ausklammerns von Themen.
    Nur einmal in diesem Sommer reiste ich in die Schweiz zurück, um den Aufsichtsrat über den Gang der Geschäfte in den USA zu informieren. Vierundzwanzig Stunden Zürich. Anna war beruflich gerade in Oslo, und so verpaßten wir uns. Ich überlegte mir natürlich, über Oslo nach New York zurückzufliegen, aber am nächsten Tag mußte sie schon wieder weiter, nach Bergen, und von dort gab es keine Direktflüge nach New York. Die Umsteigerei hätte mich mindestens zwei Tage gekostet, und das lag in dieser Phase der Integration einfach nicht drin. Auch sie konnte ihre Meetings nicht verschieben - sie leitete die Legal Due Diligence für einen paneuropäischen Roll-up im Health-Care-Bereich. So übernachtete ich noch einmal in unserem Haus in Rüschlikon. Ich kam spät nach Hause und mußte früh wieder zum Flughafen raus. Ich sah weder den See noch den Garten, ich sah bloß die Stämme unserer Eichen im Licht der Scheinwerfer, als das Taxi auf unseren Kiesplatz fuhr und ich ausstieg. Obwohl drinnen nichts umgestellt war, kam ich mir wie ein Eindringling vor. Ich hinterließ ihr eine Notiz auf dem Küchentisch, einen Gruß, Love Philip, so wie es die Amerikaner verwenden, das Wort Love.
    Ein Sommer ohne Sex, darauf war ich eingestellt. Dafür mit glänzenden Verkaufszahlen im Geschäft.
    Schon nach sechs Monaten waren wir in der Gewinnzone. Die Integration der Manhattan Finance Corporation mit ihren fünfzehntausend Mitarbeitern war, über diese Zeit betrachtet, ein Kinderspiel - a piece of cake. Alle meine Entscheidungen trafen ins Schwarze, was ich sagte, sagte ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort im richtigen Ton, was ich tat und ließ, hatte Signalwirkung auf die ganze Organisation, es war wie Magie oder, wenn man will, Bestimmung, ich hatte mich geschäftlich noch

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