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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
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tief in mir Freude auslösten, Begeisterung in einer nie geglaubten Intensität - mag sein, daß es an New York lag, an der gesteigerten Verantwortung, an meiner mir selbst auferlegten maßlosen Erwartung, oder ganz einfach daran, daß ich mich als quasi freier Mann ohne die offene Flanke einer Affäre endlich dem zuwenden konnte, was mir am meisten bedeutete: dem professionellen, unternehmerischen Management.
    Noch in der ersten Woche nach meiner Ankunft in New York gab ich die neue Strategie durch: Spezialisierung auf sogenannte Ultra High Net Worth Individuals, im Gegensatz zu den einfachen High Net Worth Individuals.
    Einmal, etwa vier Wochen nach meinem Antritt in New York, stand Renfer in meinem Büro. Händeringend. Unangemeldet. Er stellte sich vor, obwohl wir uns schon begegnet waren. Er stand bloß da, mit dem Rücken zur Skyline der Park Avenue, und musterte das Innere meines Büros - den dunklen Schreibtisch, vermutlich Eiche gebeizt, das noch leere Büchergestell aus demselben Material, eine Polstergruppe aus aufgebauschten, dunklen Lederelementen, die wie ein Tausendfüßler um die Ecke schlich - die ganze Ausstattung meines Vorgängers, die mir auf die Nerven ging, aber die zu korrigieren ich noch keine Zeit gehabt hatte. Keine Ahnung, was Renfer hier wollte, und offenbar wußte er's selbst nicht. Was ihn überraschte, schien nicht die Tatsache zu sein, daß etwas vorgefallen war, sondern daß absolut nichts vorgefallen war. Natürlich hatte er als Security-Mann Zugang zu sämtlichen Büros der Bank, weltweit, und so bot ich ihm Mimi an, meine Sekretärin, die bereit war, ihn durchs neue Gebäude zu führen.
    Er lehnte ab.
    »Aber was wollen Sie denn hier?« Ich versuchte, höflich zu bleiben, aber ich verfügte auch nicht über eine ausziehbare Zeitachse, es war meine vierte Woche hier, wie gesagt, fünfzehntausend Mitarbeiter erwarteten Entscheidungen. Wäre Rauchen in amerikanischen Büros gestattet, ich hätte ihm eine Zigarette angeboten, einfach damit man nicht mit leeren Händen in einem Büro herumstand und sich gegenseitig musterte, aber so blieben uns nur die leeren Hände.
    »Raus mit der Sprache: Ist irgend etwas vorgefallen?« fragte ich schließlich.
    Er sagte lange nichts. Dann öffnete er seine Lippen, bevor er anfing zu sprechen. »Es handelt sich um eine routinemäßige Identitätskontrolle.«
    Seine Aussprache war trocken und seine Stimme klein, und er gab sein Bestes, die Wand mit entschlossenem Denken anzustarren.
    »Hier«, ich griff in eine Schublade, zerrte einen dicken Stapel Papier heraus und knallte ihn auf meinen Schreibtisch, »dies ist die Liste all unserer amerikanischen Mitarbeiter, sortiert von A bis Z.«
    »Wir beginnen bei Ihnen«, sagte er daraufhin und wagte nicht, mir dabei ins Gesicht zu schauen. Er tat so, als suche er etwas in seiner Aktentasche, was mir wie ein fadenscheiniges Wühlen vorkam.
    »Bei mir?« Ich mußte lachen.
    Er verlangte tatsächlich meinen Ausweis.
    Ich fand diese ganze Veranstaltung entschieden zu blöd.
    »Hören Sie, Renfer, hier bin ich der Chef, diesen amerikanischen Laden führe ich. Wenn Sie mir nicht sofort sagen, was Sache ist, werde ich Sie von unserem Gebäude wegschaffen und Sie zurück ins Schweizer Flaschen-Depot schicken lassen.«
    Sobald ich dies ausgesprochen hatte, fühlte ich ein Zerren in meiner Brust, die Atmung, die bis dahin so automatisch, so leicht und flüssig funktioniert hatte, erforderte jetzt meinen gedanklichen Einsatz. Es war ein scheußliches Gefühl. Ich wußte, daß es kaum zu entschuldigen war, einen Headoffice-Mitarbeiter so zusammenzustauchen, insbesondere den Chef des Sicherheitsdienstes.
    Ich entschuldigte mich. »Was genau möchten Sie denn sehen?«
    »Wie gesagt, Ihre Ausweise: Paß und Firmen-ID.«
    Renfer blätterte in meinem Paß, bis er das Foto gefunden hatte, dann hielt er den Paß und den Firmenausweis vor sich hin und verglich die Fotos mit dem, der vor ihm stand.
    »Hier« - ich hielt meine ausgespreizten Hände vor sein Gesicht - »warum nehmen Sie keine Fingerabdrücke?«
    Daraufhin verschwand er aus meinem Büro. Er bestieg ein Taxi zum Flughafen und flog noch am gleichen Abend zurück nach Zürich - ohne auch nur mit einem einzigen meiner amerikanischen Mitarbeiter gesprochen zu haben. Ich fand die ganze Vorführung mehr als seltsam - als gäbe es etwas an meiner Identität zu bezweifeln. Ich vergaß die Szene bald.
    Es folgte ein höllischer Sommer. Die Stadt fiel heiß und schläfrig in

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