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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Dobelli
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ein.
    Des weiteren: die Inkommensurabilität unserer Karrieren, wie sie es ausdrückte.
    »Anna, Schatz.«
    »Nenn mich nicht Anna-Schatz!«
    Ich beschwor sie, nach New York zu kommen, ich bot ihr an, den Flug und die ganze Reise zu übernehmen, sie gleich selbst zu buchen.
    »Let's talk«, sagte ich.
    Ich weiß nicht, warum plötzlich auf englisch.
    »Hör zu, die Affäre ist zu Ende. Wirklich. Diese Hofmann ist verschwunden. Weg aus meinem Leben. Keine Anrufe mehr, keine E-Mails mehr, rein gar nichts. Eigentlich war sie gar nie in meinem Leben.«
    »Lügner!«
    »Also - wir haben ein paarmal miteinander geschlafen.«
    Anna sagte nichts.
    »Ausrutscher« - ich bemühte mich, viel Gewicht in dieses Wort zu legen.
    »Vielleicht«, fuhr ich fort, »ist sie gar tot, wer weiß, da ist nichts mehr, keine Gefühle mehr, nada.«
    Des weiteren: der aufgesetzte Lebemensch-Anfall.
    »Laß es uns noch einmal versuchen. Please. Wir sind das perfekte Paar.«
    »Das habe ich auch immer gedacht.«
    »New York. Spazieren im Central Park. Wir besuchen die Musicals, die besten Restaurants, Carnegie Hall, New York Philharmonic - Lorin Maazel, den du so liebst. Ausflüge nach Long Island, nach Key West, in die Rockys, wohin du möchtest. Und dann reden wir. Wir nehmen uns Zeit.« Ich flehte sie an: »Let's talk.«
    Ich sank vor dem Telefonapparat in die Knie. Ich rollte mich auf den Rücken und sah nur noch das geringelte Telefonkabel, das von mir wegging und immer dünner wurde und schließlich in jenem schwarzen Apparat verschwand.
    Des weiteren: das Fehlen von Zuneigung beiderseits - und das schon seit Jahren.
    Des weiteren: ein Glück, daß wir nicht auch noch Kinder haben.
    »Also gut, meinetwegen, laß uns Kinder haben!« schrie ich in den Hörer.
    Eine Weile lang war Stille.
    »Anna, bist du noch dran?«
    Das Knacksen in der Leitung.
    Dann die Tränen.
    Ich zitterte.
    Kein Wort.
    »Anna?«
    Aber dann, in einem Ton, der einem letzten Zusammenreißen all ihrer Kräfte entsprach, sagte sie: »Die Sache ist für mich abgeschlossen.«
    »Dann komme ich nach Zürich.«
    »Philip, ich bitte dich. Du hast dein Leben, ich habe meins. Ich sag's nochmals: Komm nicht.« Dann legte sie auf.
    Als Mimi, meine Sekretärin, am nächsten Morgen ins Büro trat, um die Post zu bringen, fand sie mich auf dem Boden liegend, das Telefonkabel um den Hals gewickelt - offenbar hatte ich mich im Schlaf gedreht. Ihr hoher Schrei hatte mich geweckt. Ich stand augenblicklich auf, strich meine Hose glatt, auch meine Krawatte. Ich zog den Hörer am Kabel entlang zu mir hoch. Das endlose Besetztzeichen im Hörer.
    »Everything okay, everything okay.« Ich winkte ab, bevor sie auf irgendwelche Gedanken kam. »Everything okay.«
    Sie legte die Post auf meinen Tisch und verließ das Büro, zog die Tür hinter sich zu, nicht ohne sie noch einmal aufzustoßen: »Are you sure?«
    Ich sackte auf dem Stuhl zusammen, vergrub mein Gesicht in den Händen. Ich zitterte vor Kälte. Dieses verdammte Airconditioning, das die ganze Nacht Eiskälte wie eine Strafe auf mich niedergeschüttet hatte. Mein unrasiertes Gesicht.
    »Du hast dein Leben, ich habe meins« - dieser Satz ließ sich nicht mehr abstellen.
    Ich hätte jetzt alles darum gegeben, Josephine nie kennengelernt zu haben, nie zu diesem verdammten Literaturempfang eingeladen gewesen zu sein. Warum konnte ich ausgerechnet ihr gegenüber nicht standhaft sein, so wie bei anderen Frauen zuvor? Was war es an dieser Frau, an ihrer Haltung, an ihrer Stimme, an der Art, wie sie sich bewegte? Keine Ahnung, was ich mir gedacht hatte. Nichts hatte ich mir gedacht! Plötzlich sah ich Bilder von Josephine vor mir aufsteigen, Bilder des ersten Abends, wie sie das Tellerchen mit dem Senf hielt und ihre Bratwurst dareintunkte, wie sie dastand, ihre erregende Haltung, ihr sehr schlanker Körper, ihr fordernder Gang, ihr Stolz. Wochen später ihre Küsse (unsere Küsse). Ich dachte an Josephine, ich dachte an Anna, ich weiß nicht, was ich dachte. Mein Gesicht in den Händen. Am liebsten hätte ich mich erstickt.
    Wenige Wochen später, kurz vor Mitternacht, klingelte das Telefon. Ich ließ den Beantworter arbeiten.
    »Anna hier. Hör mal, Philip, ich hab's mir überlegt, ich komme nach New York.«
    Nach vier Stunden ein weiterer Anruf: »Ich sitze bereits im Flieger, Swissair 101 - Landung am Nachmittag in JFK.«
    Fünf Minuten später nochmals: »Abflugsverspätung, aber jetzt starten wir dann gleich. Landung um 14:54. JFK. Falls du

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