Himmels-Taler
breitete die Flügel aus.
»Ich schätze…« begann Mark.
Dolph wartete ab. Er hatte gelernt zuzuhören. Das hätte seiner Mutter gefallen!
»… daß wir jetzt fortfahren können«, schloß Mark.
Na prima! Dolph sprang und pumpte, und schon schwebten sie in der Luft. Der Wind verlieh ihm Auftrieb. Schon bald kreiste er über den Bäumen und orientierte sich. Rokhs verfügten über eine ausgezeichnete Sehkraft. Er stürzte sich in den Wind.
»Es ist allerdings möglich…«
Was denn jetzt schon wieder? Dolph legte den Kopf schräg und lauschte.
»… daß der Wind weiter oben die Richtung wechselt.«
Gute Idee. Er setzte den Aufstieg fort. Und tatsächlich veränderte der Wind in größerer Höhe die Richtung, und ein kalter Strom wehte genau auf das Schloß des Guten Magiers zu.
Nun, da er in der Luft war, brauchte er keinen Auftrieb mehr; er konnte auf dem Luftstrom segeln.
Zufrieden mit sich selbst flog er los. Er fühlte sich gestärkt, dank des guten Rats des Skeletts. Es war gar nicht mal so schlecht, einen Erwachsenen dabeizuhaben! Dolph konnte sich zwar immer noch nicht zu der Vorstellung durchringen, daß seine Mutter tatsächlich recht gehabt haben könnte; schließlich gab es ja auch Grenzen.
Als der Abend sich näherte und die Sonne sich duckte, um sich hinter dem Horizont zu verstecken, damit sie nicht von der Dunkelheit eingeholt wurde, flog Dolph im Gleitflug auf das Schloß des Guten Magiers zu. Er konnte nicht im Schloß selbst landen, weil er dafür zu groß war, aber unweit davon lag ein hübsches Feld. Er vollführte eine fast vollkommene Landung. Sie hatten einen ganzen Tag gespart!
Aber nun dämmerte es, und er war müde. Marks Vorsichtsmaßnahme hatte sich als richtig erwiesen: Er war schon wieder hungrig, und wenn er vor dem Fliegen nichts gegessen hätte, würde er sich jetzt wahrscheinlich völlig ausgehungert fühlen.
»Ich denke…« begann Mark.
»Wir sollten hier lieber die Nacht verbringen«, beendete Dolph den Satz für ihn.
Das Skelett nickte. »Du kannst schlafen; ich brauche so etwas nicht. Hättest du gern eine Unterkunft?«
Dolph sah sich um. Die Bäume, die im Sonnenlicht so hübsch ausgesehen hatten, wirkten im Schatten reichlich düster. Seltsame, unfreundliche Geräusche waren plötzlich zu vernehmen. Daran hatte er noch gar nicht gedacht. Ihm gefiel die Vorstellung nicht, daß er im Freien auf nacktem Boden schlafen sollte, nicht einmal in Tiergestalt behagte sie ihm. Er war an sein warmes, sicheres Bett auf Schloß Roogna gewöhnt, unter dem Handy das Ungeheuer Wache hielt. Schließlich war er erst neun Jahre alt. »Äh, ja«, meinte er nachdenklich.
»Dann tritt mich in den Hintern.«
»Wie bitte?«
»Verpaß mir einen ordentlichen Tritt. Ich brauche diesen Anfangsschub.«
»Na schön, wenn du meinst.« Dolph trat etwas zurück, nahm Schwung und verpaßte dem Hinterteil des Skeletts einen prächtigen Tritt.
Mark brach auseinander. Seine Knochen explodierten, flogen in alle Himmelsrichtungen davon. Dann landeten sie wieder – und zwar in einem Muster. Als sich der letzte Knochen eingeordnet hatte, stellte das Skelett ein kleines Häuschen dar. Der umgedrehte Schädel war die Haustür.
»Mach mich auf«, sagte der Schädel. »Kriech hinein und zieh mich zu. Hier drin wird dich niemand belästigen.«
Das glaubte Dolph ihm aufs Wort. Er nahm seinen Rucksack und schritt auf das Knochenhaus zu. Er kroch auf allen vieren und hakte einen Finger in das Nasenloch. Von einem Halsknochen gehalten, schwang die Tür auf. Dolph krabbelte hinein und stellte fest, daß es innen nicht nur sehr gemütlich, sondern auch gerade groß genug war. Er zerrte seinen Rucksack hinterher und legte ihn als Kopfkissen aus. Dann zog er den Schädel herunter, der mit einem Klicken einrastete. Die eckigen Augenhöhlen starrten hinaus und hielten Ausschau nach jeder möglichen Gefahr in der Nacht.
Hier drinnen war es dunkel und angenehm warm. Er fühlte sich recht sicher. Heiliges Gebein! Mark war wirklich ein toller Bursche!
Er hatte eigentlich mit Grundy Golem reisen wollen. Schon immer war er der Auffassung gewesen, daß Grundy eigentlich als Magier hätte anerkannt werden müssen, weil er mit allen Lebewesen sprechen konnte. Schließlich vermochte nicht einmal König Dor so etwas. Doch Ivy hatte erklärt (nicht, daß er sie um eine Erklärung gebeten hätte), daß jedermann irgendeine andere Sprache sprechen konnte, wenn er sich nur die Mühe machte, sie zu erlernen, während
Weitere Kostenlose Bücher