Himmelsfelsen
seriös. Jedenfalls hab’ ich bislang nichts
Negatives gehört.«
Eine junge Frau, deren Outfit darauf schließen
ließ, dass sie es beruflich mit Kosmetik zu tun haben würde, ergänzte: »Davon bin
ich auch überzeugt. Der Gerald hat Wert darauf gelegt, dass keine schrägen Vögel
bei ihm verkehrten.«
Jetzt trat Ferdl an den Tisch, um den inzwischen
sechs Personen saßen, darunter zwei Frauen. »Es tut mir wirklich leid um Gerald«,
sagte der Wirt mit der enormen Leibesfülle und blickte ernst in die Runde.
»Wann war er denn zuletzt hier?«, fragte ein
jüngerer Mann, der seine Krawatte gelockert hatte, vermutlich ein Bänker.
»Am letzten Montag, gestern vor einer Woche«,
erwiderte Ferdl, »er hatte ja nur an seinem Ruhetag Gelegenheit dazu. Und wenn ich
dann gerade offen hatte, ist er gelegentlich raufgekommen.«
»Ja, da hab’ ich ihn auch noch getroffen«,
sagte Träuble und trank an seinem Pils.
»Seit ich die Sache im Radio gehört hab’, überleg’
ich mir ständig, wer das wohl getan haben könnte«, meinte der elegante Herr mit
dem Mineralwasser.
»Sicher keiner aus Geislingen«, sagte Ferdl
und setzte sich auf die äußerste Kante der Eckbank, die den Stammtisch umgab. »Wisst
ihr, wenn man sich mit dem Gerald unterhielt, dann hatte man immer den Eindruck,
dass er ganz schön unter Druck stand.«
»Wie meinst du denn das?«, hakte Träuble nach.
»Na, Stress mit Discjockeys, mit irgendwelchen
Bands, mit dem Personal, die Branche ist hart, glaubt mir.«
»Und der Konkurrenzdruck sicher auch«, meinte
die zweite Dame am Tisch.
»Aber ganz gewaltig«, bekräftige Ferdl, »da
ist es notwendig, ständig am Ball zu bleiben. Der Gerald hatte noch viele Pläne«,
sagte Ferdl.
»Hat er dir davon etwas erzählt?«, fragte Träuble
sichtlich interessiert.
»Nicht direkt, nur andeutungsweise, aber irgendwie
hatte es den Anschein, als befasse er sich mit einer größeren Sache.«
Das Interesse der Stammtisch-Gesellschaft stieg.
»Du meinst, er hat sein Geschäft ausbauen wollen?«,wollte die junge Kosmetikerin
neugierig wissen.
»Denkbar, ja, er hat sich wohl auch mit einigen
Leuten zusammengetan, die sich in der Branche auskannten«, erzählte Ferdl.
»Hat er auch Namen genannt?«, fragte der junge
Mann mit der gelockerten Krawatte.
»Nein, nie«, sagte Ferdl, »ich kenn’ mich da
ja sowieso nicht aus. Wenn er Namen genannt hat, dann waren das meist nur Vornamen
oder irgendwelche Spitznamen. Nur einer ist mir im Gedächtnis geblieben, von einem,
dem er offenbar einen neuen Job in Aussicht gestellt hat, aber fragt mich nicht,
was für einen …« Ferdl machte eine kurze Pause, während seine Ehefrau Helga einem
der Gäste einen Wurstsalat servierte, »es schien aber«, so fuhr Ferdl fort, „es
schien so, als sei dieser Mann aus Geislingen oder zumindest aus der näheren Umgebung.«
»Und wie hat er ihn genannt?«, fragte Träuble
hartnäckig nach.
»Den Grafen«, Ferdls Gesicht nahm einen energischen
Ausdruck an, »jetzt weiß’ ich’s wieder, ja, er hat ihn, den ›Grafen‹ genannt. Keine
Ahnung, warum.«
13
August Häberle, Leiter der Sonderkommission »Himmelsfelsen«, war mit
Daniel Fronbauer in einen Nebenraum gegangen. Er wollte bei der Vernehmung ungestört
sein. Im Lehrsaal wurden inzwischen die dürftigen Erkenntnisse der Spurensicherung
ausgewertet.
»Tut mir leid, dass wir Sie nochmals herbitten
mussten«, sagte Häberle und bot Fronbauer einen Platz vor dem Schreibtisch an. Der
Mann war gestresst und roch nach Schweiß.
»Ich bin vollkommen schockiert über das, was
Sie mir gesagt haben«, erklärte Fronbauer. Er wirkte jetzt abgespannt und erschöpft.
Seine Stirn glänzte. Draußen war inzwischen die Sonne untergegangen. Doch durch
das offene Fenster drang kein kühlendes Lüftchen herein.
»Ja, es tut mir leid«, wiederholte Häberle,
»wir sind aber dringend auf Ihre Unterstützung angewiesen.«
»Selbstverständlich, das verstehe ich.« Fronbauer
schlug die Beine übereinander und lehnte sich zurück.
»Können Sie sich vorstellen, dass es jemanden
gibt, der einen Grund gehabt haben könnte, Ihren Bruder zu töten?«
»Das hab’ ich mir auf der Herfahrt schon hin-
und her-überlegt. Wer kann einen Menschen nur so abgrundtief hassen? Ich weiß es
nicht, ich hab’ keine Ahnung.«
Die beiden Männer schauten sich an. Häberle
fuhr fort: »Was haben Sie denn von den geschäftlichen Dingen Ihres Bruders gewusst?«
»Eigentlich nichts. Wir haben uns selten
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