Himmelsfelsen
weiter fündig werden«, sagte einer der Kriminalisten, der einen
Alukoffer trug und mit seinem Kollegen vom Himmelsfelsen zurückkam.
»Das Einzige, was mir hier noch auffällt«,
sagte der zweite Mann und blieb stehen, »das Einzige«, wiederholte er, »ist diese
Reifenspur eines Fahrrads.« Er deutete jetzt auf den schmalen Abdruck eines Reifens,
der im noch feuchten Erdreich einer ausgetrockneten Pfütze erkennbar war. Die beiden
Männer stutzten.
»Du hast Recht«, sagte der erste und bückte
sich hinab, »das muss heute gewesen sein.« Das Reifenprofil zeichnete sich in der
schwarzen Erde noch deutlich ab.
»So viele werden hier oben wohl kaum radeln«,
überlegte der andere, »ich denke, das ist ungewöhnlich.«
»Nun, so ungewöhnlich ist das heutzutage auch
nicht mehr. Es gibt genügend verrückte Mountainbiker …« Er hielt inne. Denn ihm
war klar geworden, dass dies, wenn überhaupt, die einzige wirklich verwertbare Spur
sein würde, die sie sicherstellen konnten. Er stand wieder auf, trat einen Schritt
zurück und legte seinen Alukoffer flach neben den Weg.
»Vielleicht haben wir Glück«, sagte er, während
sein Kollege auf den Boden kniete, um das Reifenprofil aus allernächster Nähe begutachten
zu können.
»Wenn das vom Täter stammt, sind wir ihm auf
der Spur«, sagte er.
Die Helfenstein-Schenke war an den Sommerabenden ein beliebter Treffpunkt
all jener, die in der Stadt zu den so genannten Prominenten zählten. Hier, hoch
über Geislingen, in einer restaurierten Burg, fanden sie die rustikale Gemütlichkeit,
die ihnen tagsüber in ihren Büros und Geschäften fehlte. Bewirtschaftet wurde die
dunkle Schenke, in die es ein paar Stufen abwärts ging, von einem Ehepaar, von Ferdl
und seiner Helga. Sie betrieben das Lokal nebenberuflich. Normalerweise hatten sie
deshalb nur an den Wochenenden geöffnet. Doch an schönen lauen Sommerabenden, wenn
bis spät in die Nacht mit Gästen zu rechnen war, machten sie Ausnahmen. Die beiden
waren mit der kleinen Gastwirtschaft, in der es neben Getränken nur kleinere Speisen
gab, eng verwurzelt. Seit Jahr und Tag schon verbrachten sie jede freie Stunde hier
oben. Ferdl galt längst als ein Original. Er war in die Rolle des »Helfensteiners«
hineingewachsen. Und wenn er mit seiner ganzen Leibesfülle und seiner Lederhose
hinter der winzigen Theke stand, dann mag es manchen fremden Gast schon verwundert
haben, wie er es in der Enge des Raumes schaffte, Bier zu zapfen und Speisen herauszureichen,
die seine Helga in einer noch winzigeren Küche, weitere drei Stufen tiefer, zubereitete.
Am liebsten aber hatten es seine Gäste, wenn
er zur Gitarre griff, Volkslieder spielte und sang. Dann konnte es geschehen, dass
bis weit in die Nacht hinein eine ausgelassene Stimmung herrschte. Dies war der
Grund, weshalb viele Einheimische gerne in die Schenke kamen. Ferdl galt als »Geheimtipp«.
Hier wurde aber auch die Kommunalpolitik durch die Mangel gedreht, hier wurde deutlich
gesagt, was in den offiziellen Gremien meist nur diplomatisch anklingen durfte.
Bei ein paar Gläsern Bier oder einigen Vierteln Wein redete es sich ohnehin einfacher.
Und oftmals sollen in der Schenke schon Kompromisse gefunden worden sein, die zuvor
im Ratssaal undenkbar gewesen wären.
Auch an diesem Dienstagabend trafen sich hier
wieder viele, die drunten in der Stadt das Sagen hatten. Heute drehten sich die
Gespräche aber nicht um Kommunalpolitik, sondern um das Verbrechen in Eybach. Das
Göppinger Lokalradio hatte am frühen Abend die Meldung verbreitet, dass der Mann,
der am Morgen vom Himmelsfelsen gestürzt war, mit hoher Wahrscheinlichkeit einem
Mord zum Opfer gefallen sei.
Volker Träuble, der Fraktionschef der Konservativen
im Geislinger Gemeinderat, saß ganz hinten an dem Stammtisch, der in eine Nische
gezwängt war. Nach Ladenschluss, den die meisten Geschäfte in dieser Kleinstadt
auf 18 Uhr gelegt hatten, waren einige Geschäftsleute zur Burgruine hinauf gefahren.
Dass die Schenke offen sein würde, das signalisierte ihnen die Fahne, die Wirt Ferdl
stets hochzog, sobald er da war.
»Wer sein Geld mit dem Nachtleben verdient,
trägt immer ein gewisses Risiko«, konstatierte ein älterer Mann, der sich seine
Pfeife stopfte.
»Stimmt, der junge Fronbauer hatte sicher nicht
nur Kontakte zur High Society«, ergänzte ein eleganter Herr, der ein Glas Mineralwasser
vor sich stehen hatte.
»Aber ich glaube”, griff Träuble das Thema
auf, »die Diskothek in Ulm ist durchaus
Weitere Kostenlose Bücher