Himmelsfelsen
verschwinden. Dann wurden sie in eine Unterkunft
gebracht, in irgendein abgetakeltes Hotel, ich glaub’ in Langenau draußen.« Autenrieter
machte eine Pause und fuhr nach kurzem Überlegen fort: »Vor einem halben Jahr ungefähr
haben die Litauer dann darauf gedrängt, den Mädchen im Diskotheken-Gebäude Zimmer
einzurichten. Sie hatten mitgekriegt, dass ein Teil des früheren Büro-Trakts leer
stand. Gerald wollte zunächst nicht so recht, wurde aber von seinen Mitarbeitern
überredet. Die Mädchen konnten nun mit ihren Freiern im Haus bleiben. Gerald war
das aber sichtlich unangenehm. Einmal hat er gesagt, er befürchte, dass es irgendwann
heißen werde, das ›High-Noon‹ sei ein Puff. Also irgendwie ist ihm die Sache aus
den Händen geglitten.« Autenrieter machte wieder eine Pause und holte tief Luft.
Häberle beobachtete ihn und fragte nach: »Das heißt, die Litauer haben
nach und nach die Chef-Rolle übernommen?«
»Ganz so schlimm war’s sicher nicht«, erwiderte
Autenrieter und lehnte sich mit dem Gesäß an den Fenstersims, »aber ich hatte den
Eindruck, dass Gerald sich nicht mehr so schnell hätte von ihnen trennen können,
selbst, wenn er gewollt hätte.«
»Und Sie?«, fragte Häberle, »welche Rolle hatten
Sie?«
»Ich war Geralds bester Freund, ich hab’ hin
und wieder ausgeholfen und sollte nach und nach in die Geschäftsführung eingebunden
werden.«
»Und das hat weder dem Flinsbach noch dem Saalfelder
gepasst, und wohl schon gar nicht den Litauern. Sehe ich das richtig?«, kombinierte
Häberle.
»Ja, genau. Und jetzt zwingt man mich, meine
Kontakte ganz aufzugeben«, stellte Autenrieter fest, »aber so einfach lass’ ich
mich nicht rausbugsieren. Jetzt, wo Gerald tot ist, schon gar nicht.«
»Und der Bruder Fronbauer? Der ist den Jungs
aus Litauen auch hinderlich?«
»Davon bin ich überzeugt. Aber nicht nur denen,
sondern wohl auch dem Flinsbach und dem Saalfelder«, sagte Autenrieter.
»Kann ich aus Ihren Worten schließen, dass
Sie es für denkbar halten, dass Gerald Fronbauer Opfer dieser Menschenhändler aus
Litauen geworden ist?«, wollte Häberle wissen und wandte absichtlich eine verschlungene
Formulierung an.
»Das denke ich, ja«, sagte Autenrieter schnell,
»der Gerald war ein guter Mensch. Es kann durchaus zu einem Krach zwischen ihm und
diesen Typen gekommen sein.«
»Aber jetzt noch eine ganz andere Frage«, begann
Häberle wieder etwas ruhiger, »mir leuchtet nun mehr als gestern ein, weshalb der
Gerald Fronbauer Ihre Telefonnummern in seinem Handy gespeichert hatte. Aber können
Sie sich vorstellen, warum er dazu nicht Ihren richtigen Namen eingegeben hatte,
sondern nur ein ›G‹?«
Autenrieter verengte die Augenbrauen und überlegte
kurz. »Ein ›G‹?«,wiederholte er. Häberle nickte und beobachtete ihn.
Der Mann ging schweigend um den Tisch herum,
um sich wieder an den Küchenblock zu lehnen. Dann schien ihm etwas einzufallen.
Er versuchte zu lächeln: »Das kann nur eines heißen: ›Graf‹, ja, das muss ›Graf‹
heißen.« Er lächelte.
»Graf?«,wiederholte Häberle, »wieso denn das?«
»Er nannte mich immer den Grafen, eine alte
Geschichte, aus der Schulzeit. Weil ich angeblich so staksig daherkomme, wie ein
Graf, wie der aus Eybach, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Häberle nickte und stand auf. »Okay, Herr Autenrieter,
Sie haben mir nun sehr weitergeholfen. Es wäre aber nett gewesen, wenn Sie uns dies
alles schon gestern erzählt hätten.«
»Tut mir leid, aber ich hab’ gedacht, die Sache
im ›High-Noon‹ ließe sich ohne Polizei regeln. Wissen Sie, mir geht’s doch auch
um den guten Ruf des Lokals.«
»Diesen Ruf kann man nur retten, wenn man jene
rausschmeißt, die ihn ruinieren«, erwiderte der Kriminalist, »und Ihnen gebe ich
den Rat: Halten Sie sich vorläufig raus. Gehen Sie unter keinen Umständen in den
nächsten Tagen nach Ulm. Tun Sie so, als würden Sie den Anweisungen Folge leisten,
haben Sie verstanden?«
»Ich geh’ keinen Schritt aus dem Haus. Ich
hab’ meinen Chef schon angerufen. Ich hab’ bis zum Wochenende frei.«
Häberle klopfte ihm mit seiner kräftigen Rechten
auf die Schulter: »Das ist gut so. Wenn Ihnen noch was einfällt, dann rufen Sie
mich an.«
Inzwischen waren auch Linkohr und Schmidt wieder im Lehrsaal der Geislinger
Polizei eingetroffen. Sie hatten nach ihrem Disco-Besuch nur wenig geschlafen und
unterrichteten nun ihre Kollegen von ihren nächtlichen Beobachtungen. Das
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