Himmelsgöttin
Tabletten gegeben, die sie dem Weißen in den Mund bröseln sollte, doch nachdem er bei der ersten Dosis, die sie ihm verabreicht hatte, würgen mußte, hatte sie es bleibenlassen.
»Er ist kränker als Aspirin. Er braucht einen Doktor. Habt ihr einen Doktor?«
»Wir haben den Medizinmann. Er kümmert sich um unsere Medizin. Er war ein Doktor, bevor die Himmelsgöttin kam.«
Kimi schaute sie an. »Welche Insel ist das hier?«
» Alualu.«
»Ha! Wir müssen den Doktor für Tucker holen. Er schuldet mir fünfhundert Dollar.«
Sepies Augen weiteten sich. Kein Wunder, daß er in so einem feinen Kleid herumläuft. Fünfhundert Dollar! Sie sagte: »Der Häuptling sagt, ich darf niemandem von diesem Mann erzählen. Aber jeder weiß, daß er hier ist. Die Jungs betrinken sich, und dann reden sie. Aber ich kann nicht den Doktor holen.«
»Warum kümmerst du dich um ihn? Du bist doch nur ein Mädchen.«
»Ich bin nicht nur ein Mädchen. Ich bin eine Liebesdienerin.«
Kimi schnaubte verächtlich. »Es gibt keine Liebesdienerinnen mehr.«
Sepie warf den Lappen hin, mit dem sie den Boden gewischt hatte. »Was weißt du schon? Du bist ein Mann in einem Kleid. Und ich glaube nicht, daß du fünfhundert Dollar hast.«
»Es war ein schönes Kleid vor dem Taifun«, sagte Kimi. »Bügelfrei. Waschmaschinenfest.«
Sepie nickte, als ob sie wüßte, wovon er redete. »Es ist ein sehr hübsches Kleid. Es gefällt mir.«
»Wirklich?« Kimi betrachtete die zerknitterten Falten um seine Beine. »Es ist bloß ein altes Stück, ich hab's mal in Manila aufgegabelt. Es war ein Sonderangebot. Und dir gefällt es wirklich?«
Sepie verstand nicht. Bei ihrem Volk geboten es die guten Sitten, daß, wenn man den Besitz eines anderen bewunderte, dieser verpflichtet war, einem das Objekt der Bewunderung zu schenken. Wie konnte es sein, daß dieser lächerliche Mann ihre Sprache sprach, aber die Sitten nicht kannte? Und dabei schaute er sie nicht mal so an wie all die anderen Männer.
»Von welcher Insel kommst du?«
»Satawan«, sagte Kimi. »Ich bin ein Seefahrer.«
Sepie prustete verächtlich. »Seefahrer gibt's nicht mehr.«
In diesem Augenblick verfinsterte sich der Eingang, und als sie aufschauten, sahen sie, wie Abo, der Wilde, das Jungmännerhaus betrat. Er war drahtig und muskelbepackt und machte ein permanent mißmutiges Gesicht. Die Seiten seines Kopfes waren ausrasiert und mit Hammerhaien tätowiert. Seine Haare trug er oben auf dem Kopf zusammengeknotet wie die alten Krieger, die sich allerdings auch schon vor hundert Jahren von dieser Mode verabschiedet hatten.
»Ist der Pilot aufgewacht?« knurrte er.
Sepie senkte den Blick und lächelte kokett. Abo war der einzige Junge im Jungmännerhaus, der anscheinend nicht bereit war zu akzeptieren, daß Sepies Aufgaben mit dem Gemeinwohl zu tun hatten. Stets war er eifersüchtig, wütend oder brütete nachdenklich vor sich hin, doch er brachte ihr viele Geschenke, manchmal sogar Ausgaben von People, die er aus der Trinkrunde der Männer stahl. Sepie dachte, daß sie ihn vielleicht irgendwann heiraten würde.
»Er ist zu krank für das hier«, sagte Kimi. »Wir müssen ihn zum Doktor bringen.«
»Malink sagt, er muß hierbleiben, bis er wieder gesund ist.«
»Er stirbt«, sagte Kimi.
Abo schaute Sepie an, damit sie ihm bestätigte, was Kimi vorgebracht hatte.
»Nun ja, er riecht ziemlich tot«, sagte sie. Je schneller sie den Piloten zum Medizinmann schickten, desto eher konnte sie wieder wie früher ihre Tage am Strand verbringen und schwimmen und sich pflegen. »Malink wird wütend sein, wenn er stirbt«, fügte sie hinzu, um auf den Ernst der Lage hinzuweisen.
Abo nickte. »Ich werde es ihm sagen.« Er deutete auf Kimi. »Du kommst mit mir.«
Kimi erhob sich und war schon bereit aufzubrechen, als er sich im Eingang noch einmal zu Sepie umdrehte. »Wenn Roberto kommt, sag ihm, ich bin gleich wieder da.«
Sepie zuckte mit den Achseln. »Wer ist Roberto?«
»Er ist ein Flughund. Aus Guam. Man hört das an seinem Akzent.«
»Ach der. Ich glaube, Sarapul hat ihn gegessen«, sagte Sepie beiläufig.
Kimi drehte sich um und rannte schreiend ins Dorf.
Malink blickte von seinem Frühstück auf – ein Bananenblatt gefüllt mit Fisch und Reis – und sah, wie Abo den Korallenpfad zu seinem Haus entlangkam. Beim Anblick des Wilden verzogen sich Malinks Frau und seine Töchter ins Kochhaus. »Guten Morgen, Häuptling«, sagte Abo.
»Hunger?« erwiderte Malink und schwenkte
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