Himmelsgöttin
»Mein Mann hat Ihnen gesagt, was die Inselbewohner uns erzählt haben, Mr. Case. Die Eingeborenen leben auf der anderen Seite der Insel. Sie haben ihre eigene Gesellschaft, ihr eigenes Oberhaupt und ihre eigenen Gesetze. Wir versuchen, uns um ihre medizinischen Belange zu kümmern und ein paar Schäfchen zur christlichen Herde zu geleiten, aber ansonsten führen sie ihr eigenes Leben. Ich werde sie fragen, was Ihren Freund angeht. Wenn ich irgendwas herausfinde, lasse ich es Sie wissen.« Sie erhob sich und strich sich die Hosenbeine glatt.
»Dafür wäre ich Ihnen sehr verbunden«, sagte Tuck. »Ich habe versprochen, dafür zu sorgen, daß er wieder zurückkommt nach Yap, und außerdem schulde ich ihm noch Geld. Die Eingeborenen haben nicht zufällig meinen Rucksack gefunden, oder? Da war nämlich mein Geld drin.«
Sie schüttelte den Kopf. »Alles, was Sie hatten, waren die Kleider, die Sie am Leib trugen. Und die haben wir verbrannt. Glücklicherweise haben Sie und Sebastian in etwa die gleiche Größe. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, Mr. Case. Ich habe zu tun. Sebastian wird demnächst mit Ihrer Medizin kommen. Ich bin froh, daß es Ihnen bessergeht.« Sie drehte sich um und trat zur Tür hinaus ins gleißende Sonnenlicht.
Tucker stand da und schaute ihr nach, wie sie die Siedlung durchquerte. Die japanischen Wachen hielten mit der Arbeit inne und warfen ihr anzügliche Blicke zu. Sie wirbelte herum und wartete, die Hände in die Hüften gestützt, bis einer nach dem anderen den Mut verlor und sie sich verschüchtert wieder an die Arbeit machten. Es schien nicht so, als ob ihnen die Situation peinlich gewesen wäre, sondern vielmehr, als hätten sie Angst, daß ihr Blick sie zu Eis erstarren lassen könnte. Tuck machte sich wieder an seine halb aufgegessenen Pfannkuchen, und als er von einem Zittern geschüttelt wurde, dachte er, daß es wohl am Fieber liegen mußte.
Eine halbe Stunde später betrat der Doktor den Bungalow. Tucker hatte es sich auf der Couch bequem gemacht und war gerade dabei einzuschlafen. So ging das schon die ganze Zeit, seit sie ihn in den Bungalow verlegt hatten: Sie ließen ihn nicht aus den Augen – es verging kaum eine Stunde, ohne daß einer der beiden bei ihm hereinschaute, um ihm Essen oder seine Medikamente zu bringen, seine Laken zu wechseln, das Fieber zu messen, ihm zu helfen, aufs Klo zu gehen, oder einfach nur, um ihm die Stirn abzuwischen. Konnte sein, daß sie wirklich nur um ihn besorgt waren und sich um ihn kümmerten, aber es wirkte so, als wollten sie ihn überwachen.
Sebastian Curtis zog eine verschlossene Injektionsspritze aus der Tasche seines Kittels, als er das Zimmer durchquerte.
Tuck stöhnte. »Schon wieder?«
»Sie kommen sich mittlerweile bestimmt vor wie ein Nadelkissen, Mr. Case. Sie müssen sich umdrehen.«
Tuck drehte sich um, und der Doktor verpaßte ihm die Spritze. »Es geht nur so oder über die Infusion. Die Infektion ist zwar auf dem Rückzug, aber wir wollen nicht, daß sie sich wieder festsetzt.«
Tuck rieb sich den Hintern und setzte sich auf. Bevor er auch nur ein Wort sagen konnte, hatte der Doktor ihm auch schon ein digitales Thermometer in den Mund geschoben.
»Beth hat mir erzählt, daß Sie sich Sorgen machen wegen Ihres Freundes, mit dem zusammen Sie, wie Sie sagen, auf die Insel gekommen sind?«
Tuck nickte.
»Ich werde mich darum kümmern, das verspreche ich Ihnen. In der Zwischenzeit – und wenn Ihnen danach ist – würden Beth und ich uns freuen, wenn Sie uns zum Abendessen Gesellschaft leisten würden. Damit wir einander ein bißchen besser kennenlernen. Und Sie erfahren, was auf Sie zukommt.« Er zog das Thermometer aus Tucks Mund und las es ab, doch er machte keine Bemerkung dazu. »Wär's Ihnen heute abend recht?«
»Prima«, sagte Tuck. »Aber …«
»Fein. Wir essen um sieben. Ich sage Beth, daß sie Ihnen ein paar Kleidungsstücke vorbeibringen soll. Es tut mir leid, daß Sie mit meinen Sachen vorliebnehmen müssen, aber im Augenblick läßt sich das nicht besser regeln.« Er machte Anstalten zu gehen.
»Doc?«
Sebastian drehte sich um. »ja, bitte.«
»Sie sind jetzt schon wie lange hier draußen, dreißig Jahre?«
Der Doktor erstarrte. »Achtundzwanzig. Warum?«
»Nun ja, Mrs. Curtis sieht nicht aus wie …«
»Stimmt, Beth ist ein wenig jünger als ich. Aber darüber und alles andere können wir uns beim Essen unterhalten. Sie sollten sich erst mal ausruhen und die Antibiotika wirken lassen. Sie
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