Himmelskinder
Haare. Der mit der Glatze stieg schließlich an der Fahrerseite ein, der andere stellte sich hinten an den Wagen. Jetzt verstand der Junge: Ihr Auto war zugeparkt worden. Der Nervöse dirigierte den Fahrer – vor, zurück, wieder vor, zurück – und endlich konnte auch er einsteigen. Sie fuhren los. Der Junge stand auf und sah ihnen nach. Das Nummernschild des Autos war nur schlecht zu erkennen, aber er hatte gute Augen und ein gutes Gedächtnis.
Der Wagen fuhr jetzt langsamer, um an der Kreuzung nach rechts abzubiegen, raus aus der Stadt. Der Junge musste ein paarmal schlucken, sein Hals war trocken; dafür schwitzten seine Hände jetzt. Er kroch durch die Hecke zurück, lief wieder am See entlang und nahm den kleinen Pfad, der von der Holzfrau, diesem seltsamen Kunstwerk, in das Gehölz führte. Gleich würde er es wissen. Wenn es wirklich Geld war, dann würde er seiner Mutter und den Geschwistern das meiste geben, damit sie sich von dem Dreckskerl trennen konnten. Von dem Rest würde er sich ein Mountainbike kaufen, ein richtig cooles Teil.
Der Albaner ging ins Bad und setzte sich aufs Klo. Bei Stress funktionierte seine Verdauung reibungslos, ansonsten litt er unter Darmträgheit und war Großabnehmer von Abführmitteln. Eine Seite seines Badezimmerschranks quoll von dem Zeug über.
Als sein Handy klingelte, meldete er sich unwirsch. Hastig berichtete ihm Tobler die Neuigkeiten.
»Du Idiot. Mitten in der Stadt, und dann bist du nicht mal sicher, was mit dem Material ist?«
»Der Richter hat mir die Hölle heißgemacht!«
»Der Richter also, du Schwachkopf! Bring das auf der Stelle in Ordnung, egal wie. Und dann melde dich wieder!«
Der Albaner bemühte sich nicht, die Darmaktivitäten vor seinem Gesprächspartner zu verheimlichen, im Gegenteil.
»Es wird hell!«
»Bring das in Ordnung, Tobler, und zwar so, dass ich nicht selber kommen muss. Dann hättest du ein Problem!«
Er legte auf. Voller Wut trat er den Ständer mit dem Toilettenpapier durchs Bad. Dieser Kretin, dachte er, dieser absolut unfähige Kretin!
Tobler wusste, dass er wie ein Anfänger gestümpert hatte. Er hätte nicht auf den Richter hören, ihn einfach ignorieren sollen. Während der Alte in eine Art Schreckstarre verfallen war, hatte er zunächst Ruhe bewahrt. Die Bullen waren ausgesprochen höflich gewesen, und Tobler hatte sogar Scherze machen können, wobei seine Hand die Waffe beständig umklammert hielt. Seine Papiere waren hervorragende Fälschungen, das machte ihm keine Sorgen. Nein, Alkohol war auch nicht das Problem; er trank nie während der Arbeit. Die Frage war, ob sie den Kofferraum sehen wollten. Nachdem er geblasen und das Messgerät seine Nüchternheit angezeigt hatte, setzte er sich in den Wagen und stellte das Radio an – ganz entspannte Unschuld. Einer der Beamten verschwand mit den Papieren zum Einsatzwagen. So weit, so gut. Und dann:
»Alles in Ordnung, gute Fahrt!«
Es war eine irrwitzige Situation gewesen. Nachdem die Beamten sie freundlich weiter gewunken hatten, wollte der Richter nur noch die Ware loswerden. Der Albaner hatte recht, er, Tobler, hatte einen Fehler gemacht. Für einen Moment stieg Panik in ihm hoch, und er überlegte, auf der Stelle zu verschwinden. Sinnlos – der Albaner würde keine Ruhe geben und ihn schließlich finden, schon um sein Gesicht zu wahren. Die Albaner und ihre Scheißehre. Grund genug, den Wagen zu wenden und zurückzufahren. Es musste schnell gehen, die Dämmerung brach an.
9
Er zitterte und schien erschöpft. Sein Hemd starrte vor Schmutz. Die Schwester musste mehrmals nachfragen, bis sie ihn verstanden hatte. Sie nahm ihn an die Hand und lief in Richtung Einsatzzentrale. Hier wartete die Besatzung der Krankenwagen auf die nächste Tragödie. Die Schwester öffnete die Tür und schob den etwa zwölfjährigen Jungen vor sich her, der sich hinter ihr verkriechen wollte.
»Fahrt mal schnell rüber zum Park, da soll ein Mädchen liegen, nicht mehr ansprechbar, vielleicht Drogen. Hier, der junge Mann zeigt euch den Weg.«
Sie beugte sich zu dem Jungen hinunter und legte ihm eine Hand auf die Schulter:
»Sag mal, kippst du mir hier gleich um? Ist dir schlecht?«
Der Junge schüttelte den Kopf und entzog sich ihrer Hand.
»Na, dann los!«
Der Krankenwagen fuhr in zügigem Tempo durch den Park. Im Osten zeigte sich ein dünner heller Streifen.
»Findest du den Weg auch?«, wollte Markowski, der Beifahrer, wissen.
»Ja, bis zum See, wo die Boote liegen. Dann rechts
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