Himmelskinder
bis zu der großen Holzfrau. Dahinter geht so ein kleiner Weg ab, da muss man rein. Und dann in das Gebüsch am Ende, noch ein Stückchen, da liegt sie.«
Der Junge sprach schnell und aufgeregt.
Der Fahrer kannte sich aus.
»Du meinst sicher die Sitzende aus Holz mit dem Ei, das ihr Kind sein soll. Wahrscheinlich musste der Künstler noch was zahlen, damit er sie aufstellen durfte.«
Markowski lachte nicht. Erstens hatte er schon zu oft die Bemerkungen seines Kollegen über moderne Kunst gehört, und zweitens war er mit seinen Gedanken woanders, ganz woanders.
Als sie das monströse Kunstwerk erreicht hatten, zeigte der Junge auf einen Trampelpfad, der in eine Insel aus Büschen und Birken führte.
»Da ist sie drin, muss ich mitkommen? Mir ist so komisch schlecht.« Der Kleine war blass.
»Ganz ruhig, Junge. Das kriegen wir schon. Wie heißt du? Ah, Oliver. Warte hier, wir nehmen dich gleich wieder mit zurück.«
Während er sich die Handschuhe überzog, wandte er sich an den Fahrer.
»Komm mit der Trage nach. Ich gehe schon rein.«
Außer Hundehaufen und leeren Bierflaschen konnte er nichts entdecken, als er sich auf dem engen Pfad bewegte. Er wäre an dem Mädchen vorbeigelaufen, wenn seine Haut nicht im fahlen Morgenlicht durch die Zweige eines Haselnussstrauches geschimmert hätte. Es war klein, mager, vielleicht so alt wie der Junge, der es gefunden hatte. Die Kleine schien noch ein Stück gekrochen zu sein, tiefer in das Gebüsch hinein. An ihren Knien und Händen hafteten Erde und Blätter. Sie war unbekleidet. Markowski, lange im Geschäft und alles andere als zart besaitet, war für einen Moment fassungslos. Er kniete neben ihr und suchte den Puls. Sie reagierte nicht auf die Berührung. Ihre Haut fühlte sich eiskalt an. Sie ist tot, dachte er. Dann hatte er den Puls, schwach, kaum fühlbar. Plötzlich öffnete sie die Lippen und sprach zwei, drei Worte, leise, kaum zu verstehen und sicher in keiner westeuropäischen Sprache.
Wie lange mochte sie hier schon liegen? Er sah jetzt das geronnene Blut zwischen den Oberschenkeln des Mädchens. Rasch zog er seine Jacke aus und legte sie über den Körper.
»Los, los, wo bleibst du?«
Der Fahrer bahnte sich mit seiner Last einen Weg durch das Gestrüpp. Vorsichtig hoben sie das Mädchen auf die Trage. Äste und Buschwerk behinderten sie auf dem Weg zurück, schlugen ihnen ins Gesicht. Markowski stolperte und ließ für einen Moment die Sauerstoffmaske los. Er fluchte leise. Die Augenlider des Mädchens flackerten leicht.
»Warte, gleich wird dir ganz warm. Du liegst dann in einem Bett, und keiner kann dir mehr was tun.«
Die Männer beeilten sich. Der Fahrer schaltete das Blaulicht ein und jagte durch den Park. Der Junge drehte sich immer wieder nach hinten.
»Schätze, wir sind zu spät«, meinte Markowski.
Nach wenigen Minuten rollten sie das Mädchen in die Ambulanz der Stettner-Klinik. Markowski schickte den Fahrer mit dem Jungen zur Aufnahme. Der Kleine schien sich kaum noch auf den Beinen halten zu können. Er selber blieb noch und berichtete in aller Kürze dem Dienst habenden Arzt, während um ihn herum die Routinemaßnahmen begannen.
»Schwester, was ist? Brauchen Sie eine Extraeinladung?«
Die Stimme des Arztes klang gereizt. Immer wieder blickte er auf die Monitore.
»Ich versuche es ja, finde aber keinen Zugang!«
Sie öffnete den Schlauch und band ihn um den anderen Arm. Wieder und wieder führte sie die Nadel in den dünnen Arm des Mädchens, ohne die Vene zu treffen. Der Arzt, der schon viel zu lange Dienst hatte und wie ein übernächtigter Oberprimaner aussah, winkte genervt dem Anästhesisten, der gerade den Raum betrat:
»Hier, Böttcher, für Sie!«, und dann: »Den Defi, für alle Fälle, hopp, hopp!«
Ein Pfleger hatte inzwischen die Rechtsmedizin und die Kripo informiert.
»Die kommen gleich rüber. Habt ihr nichts weiter? Keine Kleidung, keine Tasche?«, wandte er sich an Markowski.
»Nein, nichts. Da hat jemand reinen Tisch gemacht. Ein paar Worte hat sie noch gesprochen, habe aber nichts verstehen können.«
»Wo bist du gleich, wenn die Kripo kommt? In der Zentrale?«
Markowski nickte und verließ die Ambulanz. Im Flur traf er auf seinen Kollegen.
»Wo ist der Junge?«
»Das ist vielleicht ein Früchtchen. Konnte vor lauter Zittern kaum noch stehen, wollte aber abhauen. Der hängt jetzt am Tropf.«
»Und, hat er was gesagt? Wieso hat er da in den Büschen rumgelungert?«
»Nichts. Der hat keinen Ton mehr
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