Himmelskinder
Zuerst hatte er noch gelacht und gesagt, der Onkel solle in sein eigenes Bett gehen, er rieche so stark nach diesem Rasierwasser, diesem komischen Zeug, dessen Geruch an Weihnachtsplätzchen erinnere, und dabei sei doch noch gar nicht Weihnachten. Dann war ihm das Lachen vergangen.
Er hatte einmal versucht, der Mutter davon zu erzählen. Der Onkel sei so komisch, er wolle am Wochenende nicht mehr zu ihm fahren. Da hatte die Mutter wieder traurig ausgesehen. Und etwas später hatte sie gesagt: »Eben weil er so komisch ist, hat Papa doch gesagt, wir sollen uns um den Onkel kümmern, weißt du nicht mehr? Er hat sich Sorgen um ihn gemacht, hat sich gedacht, was sein wird, wenn er nicht mehr da ist und auf ihn aufpassen kann.«
Seit damals hatte er es nie wieder versucht.
Eduard saß auf einem Birnbaum, einem der vielen, die rechts und links in langer Reihe den kleinen Fahrweg begrenzten, der ins Dorf führte. Von hier aus hatte er eine gute Sicht auf die Chaussee und auf Fahrzeuge, die von dort auf den Fahrweg abbogen. Seine Großmutter hatte sich angekündigt. Sie sollte für die Ferien zu ihnen kommen. Ein Nachbar war morgens in die Stadt gefahren und wollte sie am Abend mitbringen. Eduards Mutter hatte entschieden, sich von ihrem Blinddarm zu trennen. Sie hatte Eduard von der Operation erzählt und ihn so weit beruhigt, dass er nun voller Freude auf die Großmutter wartete. Sie kochte ihm bestimmt wieder seine Lieblingsessen, falschen Hasen und rote Grütze, oder, noch besser, Suppe mit Birnen und Klößen. Und wenn sie da war, ließ sich der Onkel nicht blicken.
Als er ein Auto von der Chaussee abbiegen sah, kletterte er so schnell er konnte vom Baum herunter und lief über die Wiese zum Hof.
»Mama, sie kommen! Die Oma kommt, Mama, jetzt komm schon raus!«
Lachend erschien die Mutter und stellte sich zu Eduard.
Sie hatte zwei Küchentücher mitgebracht und gab eines ihrem Sohn. Beide winkten um die Wette, als der Wagen vorfuhr.
»Das ist mir ja ein feines Empfangskomitee. Na, Edu, was habe ich wohl hier in der Tasche, hm?«
Die Großmutter hielt eine große schwarze Tasche hoch und sah dabei äußerst zufrieden aus. Eduard sprang hoch, und als er die Tasche zu fassen bekam, ließ die Großmutter los. Eduard stellte sie auf den Boden. Er solle vorsichtig sein, ganz vorsichtig.
Zum Vorschein kam ein Karton, in den ein paar kleine Löcher geschnitten waren. Eduard schaute seine Mutter an: Wusste sie, was in dem Karton war? Sie sagte nichts, und so hob er den Deckel des Kartons ab.
Zwischen Salatblättern saß eine kleine Schildkröte, die langsam den Kopf in ihren Panzer zurückzog, als Eduard ihn mit dem Finger berühren wollte.
Eduard war sprachlos vor Staunen. So ein Tier kannte er nur aus Büchern. Es sollte ihm gehören, ihm ganz allein, und er war verantwortlich für das Tierchen, wie die Mutter betonte.
Die Großmutter musste genau berichten, was sie vom Händler erfahren hatte über Futter und Haltung. Es sei eine Landschildkröte aus Griechenland. Sie könne uralt werden, wenn sie artgerecht gehalten würde.
Die Mutter war bereits drei Tage im Krankenhaus, und Eduard bekam jeden Tag sein Lieblingsessen. Die Operation war gut verlaufen. Eduard wollte am Wochenende mit der Großmutter in die Stadt fahren und die Mutter besuchen. Sie würden dann in der Wohnung der Großmutter übernachten und am nächsten Tag wieder zurückfahren. Der Onkel sollte sie zum Zug bringen. Er hatte sich bisher nicht blicken lassen.
Natürlich musste die Schildkröte mit. Eduard hatte sie Paul genannt, der Schildkrötenname schlechthin, wie Oma meinte.
Der Besuch in der Stadt war ein großes Abenteuer. Wohin es auch ging, Paul war immer mit dabei. Aufregend war ein Besuch im Zoo. Eduard wollte Paul seine Verwandten zeigen. Die riesigen Landschildkröten, auf denen man sogar reiten konnte, schienen Wesen aus einer anderen Zeit zu sein. In einer Ecke tummelten sich auch Dutzende Schildkröten in Pauls Größe. Eduard setzte Paul mitten unter sie, sie sollten zusammen spielen. Für wenige Schrecksekunden wusste er nicht mehr, welches der Tiere seins war. Oma fand Paul jedoch ohne Schwierigkeiten heraus; sie behauptete, ihn zweifelsfrei an den zwei schwarzen Punkten am Rand seines Panzers wiedererkannt zu haben.
Der Besuch im Krankenhaus war kurz. Der Mutter ging es noch nicht gut: Sie war blass und schien Schmerzen zu haben. Eduard hatte von seinem Taschengeld Blumen gekauft und sie auf das Bett der Mutter gelegt. Das
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