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Himmelskinder

Himmelskinder

Titel: Himmelskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Feldhausen
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kräftige Blau der Glockenblumen sprang ihm fast schmerzhaft ins Auge angesichts des abgezehrten weißen Gesichts. Plötzlich meinte er das Gesicht seines Vaters kurz vor dessen Tod zu sehen, und er verspürte einen solchen Schmerz im Bauch, dass er sich auf dem Stuhl am Bett der Mutter zusammenkrümmte.
    »Ich glaube, wir gehen jetzt und lassen dich allein. Eduard muss noch Salat kaufen für Paul. Ruf an, wenn du weißt, wann du entlassen wirst.«
    Der Onkel holte sie vom Zug ab, und wie auf der Hinfahrt sprach Eduard kein Wort mit ihm außer der Begrüßung und ein kurzes Ja oder Nein auf Fragen des Onkels.
    »Hör mal, Gerti, es geht nicht, dass der Junge nur immer mit Frauen zusammen ist. Ihm fehlt der Vater. Er blockiert ja regelrecht, sobald ein Mann auftaucht, selbst wenn es sein Onkel ist. Lass die beiden mehr zusammen unternehmen, das hilft dem Jungen.«
    »Ich weiß nicht, Mutter. Eduard ist irgendwie komisch, wenn er mit Friedrich zusammen war, und …«
    »Ja, eben, das meine ich ja, er muss einfach Zeit haben, sich mit einem Mann auseinanderzusetzen.«
    Eduard erfuhr in den nächsten Tagen von seiner Mutter, der Onkel habe sich angeboten, Eduard für ein paar Tage mit zum Fischen zu nehmen. Ob er sich freuen würde. Den Fisch würde der Onkel dann mitbringen, und die Oma könnte wieder mal ihre Fischsuppe mit Klößen kochen.
    Ja, hatte Eduard nur gesagt, und dass er auf jeden Fall Paul mitnehmen würde.
    Schon am ersten Abend war das Schlimme geschehen: Paul war verschwunden. Eduard erinnerte sich genau, die Zigarrenkiste auf die Holzbank gestellt zu haben. Er war verzweifelt. Mehrmals durchsuchte er die Hütte, Paul blieb verschwunden. Nach dem Abendessen bat Eduard den Onkel, ihm bei der Suche zu helfen. Paul habe noch keine frischen Salatblätter bekommen, er würde bestimmt verhungern.
    »Vielleicht weiß ich ja, wo Paul ist. Wenn du ein bisschen nett zu mir bist, dann hast du ihn bald wieder.«
    Eduard bekam gleich Bauchschmerzen, aber er versprach, nett zu sein, und fragte, ob er Paul dann nicht schon gleich wiederhaben könnte. Nein, meinte der Onkel, erst später …
    Vor dem Schlafengehen sollten noch die Reusen raus, damit es am nächsten Tag nicht an Grillfisch mangelte.
    Schweigend gingen beide zum Ruderboot. Es war ein herrlicher Abend, noch mild vom Tag, dennoch kroch in die Wärme bereits die erste Nachtkühle. Eduard dachte an seinen Vater, der diese Tageszeit geliebt hatte.
    »Merkst du, Edu, wie die Sonnenwärme noch nicht aufgibt? Aber warte nur, wie die Nachtkühle gleich auf dem Wasser zunehmen wird. Komm, nimm meinen Pullover um die Schultern.«
    Er hörte die Stimme seines Vaters so deutlich, als ginge er neben ihm und als könne er gleich den Pullover des Vaters auf den Schultern fühlen, mit dem typischen Vatergeruch nach Zigarre oder Pfeife.
    Immer waren er und der Vater gemeinsam hinausgefahren, weil einer alleine die Reusen nicht auslegen konnte. Er, Eduard, hatte gerudert, während der Vater die Netze ins Wasser gelassen hatte, akkurat geradeaus gerichtet, damit die Fische in die Eingangsschlitze fanden.
    Der Onkel hatte es besonders auf Schleie abgesehen, die er gern aß. Er ruderte in ein Seerosengebiet, wo er regelmäßig anfütterte. Nachdem er den ersten Holzstecken tief im Wasser versenkt hatte, gab er Eduard das Kommando: »… und los«, während er das Reusennetz Stück für Stück ins Wasser gleiten ließ.
    Eduard war nicht bei der Sache; er dachte an seinen hungernden Freund. Er war doch sein Beschützer und hatte versagt. Wieder und wieder ging er in Gedanken alle Möglichkeiten durch. Wo hatte er bloß noch nicht gesucht?
    Der Onkel hatte sich weit aus dem Kahn gebeugt, um den zweiten Stecken in den Grund des Sees zu stoßen, als das Unglück geschah. Eduard hatte die beiden Ruder nicht gleich tief eingetaucht, und als er nun die Ruderblätter durch das Wasser zog, kippte der Holzkahn schwer zur Seite. Der Onkel verlor das Gleichgewicht und schien einen Moment lang in der Luft zu schweben, bevor er mit einem merkwürdigen hohlen Laut ins Wasser stürzte. Eduard hatte sich erst erschreckt aufgerichtet. Dann setzte er sich wieder und starrte auf die Unglücksstelle. Es war dunkel, nur die schmale Mondsichel erhellte die Oberfläche ein wenig. Anfangs konnte Eduard den Kopf des Onkels immer wieder über der Wasseroberfläche sehen. Er schien sich in etwas verfangen zu haben, vielleicht in der Reuse oder in den Seerosen. Er rief Eduard zu, er solle näher an ihn

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