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Himmelskinder

Himmelskinder

Titel: Himmelskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Feldhausen
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heranrudern, wurde immer wieder unterbrochen von gurgelnden Geräuschen, wenn er mit dem Kopf unter Wasser geriet. Eduard ruderte von ihm fort. Er sah zu, wie der Kopf des Onkels immer häufiger unter Wasser verschwand. Eduard fühlte keine Angst, er fühlte gar nichts.
    Etwa zehn Minuten später vertäute er den Kahn am Steg. Er machte sich sofort auf die Suche nach Paul und fand ihn wenig später im Auto des Onkels im Kofferraum.
    »Hast du Angst gehabt allein? Und Hunger hast du bestimmt auch. Der Dreckskerl, jetzt kann er dir nichts mehr tun. Ich bin ja da, ich bin ja da«, flüsterte Eduard.
    Paul bekam frische Salatblätter, und seine Zigarrenkiste kam direkt neben Eduards Matratze zu stehen.
    Alle Gedanken an dunkles Wasser, Seerosen und Reusen verbannte Eduard aus seinem Kopf. Er hörte noch ein wenig den Geräuschen aus der Kiste neben ihm zu und war irgendwann eingeschlafen.
    Eduard und seine Mutter saßen im Wartezimmer der psychiatrischen Ambulanz. Eduards Lehrerin hatte die Mutter bereits mehrmals angerufen und sich besorgt gezeigt über die scheinbare geistige Abwesenheit des Jungen im Unterricht.
    Zuletzt hatte sie die Mutter in die Schule bestellt.
    »Wissen Sie, so geht das nicht mehr weiter. Der Sportlehrer hat große Probleme mit ihrem Sohn. Als er neulich dem Jungen Hilfestellung am Barren geben wollte, hat der nach ihm getreten und gespuckt. Später kam er nach Pausenende nicht in den Unterricht. Ich habe ihn in der ganzen Schule gesucht. Er saß zusammengekauert im Geräteraum der Turnhalle, versteckt hinter dem Mattenwagen. Ich hätte ihn nicht gefunden, wenn er nicht vor sich hin gemurmelt hätte. Er war nicht ansprechbar; erst, als ich ihn berührte, schien er zu sich zu kommen und ist weggelaufen. Wir haben hier alle Verständnis für Eduard – erst der Tod des Vaters, dann jetzt sein Onkel unter so tragischen Umständen. Aber so, wie es aussieht, braucht er Hilfe. Ich habe Ihnen hier eine Telefonnummer aufgeschrieben.«
    Eduards Mutter hatte lange gezögert. Warum sollte sie mit ihrem Sohn zu einem Psychiater gehen? Edu war doch nicht verrückt. Er war traurig und fühlte sich allein ohne Vater und Onkel. Und tragisch war natürlich, dass der Onkel während eines gemeinsamen Urlaubs ertrunken war. Seit dessen Tod hatte Edu nur noch wenig gesprochen, schlecht geschlafen und war immer dünner geworden. Das alles hatte sie noch nachvollziehen können. Vor ungefähr drei Wochen aber war sie noch spätabends in Edus Zimmer gekommen, weil er vergessen hatte, seine Johanniskrauttropfen zu nehmen. Sie fand ihren Sohn leichenblass vor, seine Bettdecke voller Blut. Entsetzt hatte sie die Decke hochgehoben. Dann hatte sie lange weinend an seinem Bett gesessen, und er hatte ihr stockend und zitternd von den Verletzungen erzählt, die er sich mit Messern und Rasierklingen selber beibrachte.
    »Warum?«, hatte die Mutter immer wieder gefragt. Edu hatte nicht antworten können.
    Seitdem sprach er kein einziges Wort mehr.
    Nun saß er neben der Mutter im Wartezimmer des Arztes. Der wollte mit Eduard allein sprechen und bat die Mutter, draußen zu warten.
    Später sprach er mit der Mutter allein. Ihr Sohn sei sicher sehr verstört durch den letzten Todesfall. Offensichtlich fühle er sich irgendwie schuldig, dass er auf den Bruder des Vaters nicht besser aufgepasst habe. Eduard habe immer wieder davon gesprochen, dass er Paul habe retten wollen.
    »Paul?«, fragte die Mutter.
    »Hieß Ihr Schwager nicht Paul?«

32
    Er blickte von der Zeitung auf und schaute durch die große Scheibe des »Rigoletto« auf die Straße. Auf der anderen Straßenseite stand Janne. Sie tat nichts, stand einfach nur da und schien nachzudenken, ging ein paar Schritte und blieb wieder stehen. Dann verschwand sie mit energischen Schritten aus seinem Blickfeld. Er stürzte zur Tür und lief quer über die Straße. Ein Wagen musste scharf bremsen; der Fahrer zeigte ihm einen Vogel und fuhr weiter. Er konnte es nicht glauben, Janne war verschwunden. Er suchte sein Handy in der Hosentasche und wählte ihre Nummer, während er zurück zum Lokal ging.
    »Verdammt, Janne, du wolltest das Treffen. Ich habe dich gesehen, gerade. Wo steckst du?«
    Er hörte nur ein Lachen, und dann hatte sie gleich wieder aufgelegt.
    Er setzte sich an seinen Tisch. Dieses Lachen. Als er rausschaute, kam sie wieder in sein Blickfeld, überquerte die Straße und trat durch die Tür. Sie sah ihn und kam strahlend auf ihn zu, mit einem Strauß Osterglocken und

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