Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Himmelskinder

Himmelskinder

Titel: Himmelskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Feldhausen
Vom Netzwerk:
ja, scheue recht und tue …«
    Ein Wandern im Nebel, helle und dunkle Schatten, ein Versuch, der mit einem törichten Blick ins Nichts endete.
    Die Großtante Lene, deutlich älter geworden, betrachtete liebevoll ihren Neffen.
    »Das wird schon. Ein Trüstedt lässt sich nicht unterkriegen.«
    Als er später in seinem Bett lag, nahm er die große Tafel Nussschokolade in die Hand. Du Dreckskerl, sagte er immer wieder. Dann riss er die Verpackung auf und schlang Stück für Stück gierig hinunter. Heute blieb der Ekel, wurde noch durch die Mengen Kakao und Zucker verstärkt. Er spürte, dass er sich würde übergeben müssen, und lief mit nach hinten geneigtem Kopf und Oberkörper den Flur entlang zur Toilette.
    »Junge, was ist denn los, was ist mit dir?«
    Seine Mutter war in ihrem Schlafzimmer und sah ihn durch die offene Tür vorbeilaufen.
    »Du solltest schon längst schlafen und nicht über den Flur tanzen.«
    Er hörte die Mutter lachen, wahrscheinlich hatte er lustig ausgesehen. Er schloss die Tür hinter sich ab und schaffte es, sich gerade rechtzeitig über die Kloschüssel zu beugen, bevor in einem widerlichen Gemisch Schokolade, Sperma und die wenigen Fischbrocken vom Abendbrot aus ihm herausflossen. Danach fühlte er sich leer, und das war besser als angefüllt zu sein mit dem Dreck.
    Am Anfang hatte er geweint, wenn der Onkel da gewesen war, und hatte die Schokolade fortgeworfen, hatte sie tief im Müll versteckt. Inzwischen aß er sie auf, die ganze Tafel, und weinte schon lange nicht mehr.
    Er wollte nicht mehr in sein Bett zurück und ging in das Zimmer seines Vaters. Er schloss leise die Tür und tastete sich durch die Dunkelheit zum Bett, um die Nachttischlampe anzuknipsen. Das Zimmer sah bei Licht so aus wie immer und war ihm doch ganz fremd. Und der Sekretär des Vaters hatte eine Staubschicht. Eduard schrieb mit dem Finger »Papa« in den Staub – und dann noch »komm doch wieder«.
    Er dachte an die vielen Male zurück, als er den Sekretär des Vaters untersucht hatte und auf die Geheimfächer gestoßen war. Damals hatte er sich dem Vater überlegen gefühlt, der glaubte, er könne seine Geheimnisse auf die Art vor ihm verstecken. Er wünschte jetzt, er hätte dem Vater nicht hinterherspioniert.
    Eduard wollte nicht nachdenken, er wollte sich in Vaters Bett legen. Und er wollte so tun, als wartete er und als könnte es gar nicht mehr lange dauern, bis die Schritte seines Vaters auf der Treppe zu hören sein würden. Er wickelte sich in die Decke, die sein Vater immer in Ehren gehalten hatte, weil sie schon seinem Vater gehört hatte.
    Im Traum war sein Vater wieder da und lag neben ihm im Bett. Es war so wie früher, warm und sicher. Doch dann rief der Vater mit donnernder Stimme nach dem jüngeren Bruder, Eduards Onkel. Und als der vor dem Bett stand, musste er auf Geheiß des Vaters auf allen vieren zu der Schachtel mit dem einen Käfer kriechen und war plötzlich so klein, dass er da hineinpasste. Die Schachtel öffnete sich von allein, und der Onkel musste hineinkriechen. Dann schloss sie sich, und der Hund vom Hof nebenan sprang durchs Fenster ins Zimmer. Vor dem hatten ja alle Kinder Angst, weil er ständig an seiner Kette zerrte und gefährlich aussah, sobald man in seine Nähe kam. Der schnappte sich die Schachtel und sprang mit ihr im Maul aus dem Fenster. Und als Eduard zufrieden zu seinem Vater hochblickte, hatte der schwarze Punkte im Gesicht und war ein Marienkäfer.
    Seine Mutter weckte ihn am nächsten Morgen. Sie saß neben ihm auf dem Bett; er wusste nicht, wie lange schon. Sie strich durch sein Haar und sagte, dass sie ihn beide vermissten und dass sie zusammenhalten müssten – für einen alleine sei es zu schwer.
    Es hatte angefangen, als er wegen eines Einsers in Rechnen mit dem Onkel zum Fischen fahren durfte, über ein ganzes Wochenende. Er hatte sich gefreut, seinen Rucksack gepackt und stolz die neue Angelrute in den Kofferraum gelegt. Wenn er mit dem Onkel ein ganzes Wochenende zum Fischen fahren durfte, dann war er groß, das stand fest. Er hatte etwas gefangen, der Onkel nichts. Voller Stolz hatte er mit Onkels Hilfe den großen Fisch geschuppt, ihn auf einen Stock gesteckt und dann über einem Feuer draußen vor der Hütte gegart. Nach dem Essen konnte er selber entscheiden, ob er sich die Zähne putzen wollte. Nur die Hände musste er waschen und die Teller im See spülen. Als er nach diesem schönen Tag fast eingeschlafen war, hatte der Onkel sich zu ihm gelegt.

Weitere Kostenlose Bücher