Himmelskinder
geschieht noch ein Unglück. Dass du auch nie schwimmen gelernt hast!«
»Sagt einer, der’s auch nicht kann!«
Friedrich hatte gelacht, die Ruder aber langsamer durchs Wasser gezogen.
Zum Abend mussten die Reusen eingeholt werden. Das konnte Friedrich ohne seine Hilfe.
Der Alte ging weiter und pfiff die Melodie seines Lieblingsmarsches, wobei er seinen Gang immer mehr dem Rhythmus anpasste. Zu guter Letzt marschierte er stramm wie ein Gardeoffizier über den Hof.
»Scheint gute Laune zu haben, der alte Trüstedt, obwohl er gestern Abend ordentlich ins Glas geguckt hat.«
»Das hat dem noch nie was ausgemacht. Außerdem freut er sich immer, wenn’s so weit ist, richtig gruselig. Mir wird schon schlecht, bloß beim Geruch.«
Die beiden Mägde blickten dem Alten hinterher, der zielstrebig auf die Tür der Abseite zumarschierte.
Die Frauen hatten recht. Der Alte hatte gute Laune und freute sich auf den Tag, der vor ihm lag. Er schlachtete, zerstückelte, zersägte und weidete mit wahrer Leidenschaft aus.
Jetzt hatte er sein Ziel erreicht und schloss die Tür auf. Fast zärtlich betrachtete er die ausgebluteten Wildkadaver und griff zum Schlachtmesser. Während er mit sicheren Schnitten die Tiere zerlegte, dachte er an seinen erstgeborenen Sohn, der Vater geworden war.
In diesem Raum hatte er vor fast vierzig Jahren versucht, seinen Sohn für das Schlachthandwerk zu interessieren. Die Hitze stieg immer noch in ihm hoch, wenn er daran dachte, wie sehr er enttäuscht worden war. Er hatte den Sohn an die Stalltür binden müssen, damit er nicht weglief. Und als er ihm einmal Messer in die Hand gegeben hatte mit der Aufforderung, dem Lamm, das er zwischen seinen Knien festhielt, die Kehle durchzuschneiden, hatte der das Messer fortgeworfen und war weinend davongelaufen. Man hatte ihn abends suchen müssen; von allein war er nicht nach Hause gekommen. Dafür war der Zweitgeborene, um den er sich bis dahin wenig gekümmert hatte, später zu ihm gekommen und dem Vater zur Hand gegangen wie ein Mann.
Immerhin, jetzt hatte die Frau seines Erstgeborenen einen Erben zur Welt gebracht. Dafür musste man dankbar sein, dass er sich zumindest als ganzer Mann zeigte, was das Zeugen von Nachkommen anging.
Das Taufkleid hatte mit den Jahren gelitten. Die Spitzenborte waren unansehnlich geworden, hier und da zerrissen. Die Großtante des Täuflings, Magdalene Trüstedt, hatte mit Mühe die schlimmsten Mängel behoben.
Der Täufling verschlief die Zeremonie. Wie hingegossen lag er in den Armen seines Paten Friedrich Trüstedt. Nur einmal öffnete er kurz ein Auge, als ihm das kalte Taufwasser in den verschwitzten Nacken lief, aber es reichte nicht, ihn zu wecken.
»… und so taufe ich dich auf den Namen Eduard Friedrich Trüstedt.«
Neun Jahre später
Er bog um die Ecke der Scheune und blieb stehen, um abzuwarten, ob ihm jemand gefolgt sei. Als er sicher war, allein zu sein, bückte er sich und griff in eine Öffnung am Boden neben der Holzwand. Behutsam holte er eine Schachtel hervor, ein Geschenk seines Vaters. Er fuhr mit dem Zeigefinger über die geschnitzten Initialen E, F und T, die sich auf dem Deckel befanden. Dann öffnete er die Schachtel. Zuerst sah er nur das Gras, das er am Abend zuvor erneuert hatte. Mit dem Zeigefinger hob er es ein wenig an und sah die beiden Käfer. Einer bewegte sich, als er ihn mit dem Finger berührte, er krabbelte auf seine Hand, machte aber keine Anstalten, davonzufliegen. Der andere, der mit den wenigen Punkten, rührte sich nicht, auch nicht, als er unsanft auf den Fußboden gesetzt wurde.
»Komm, beweg dich«, sagte der Junge drohend und stieß mit dem Fuß zu. Als nichts geschah, zertrat er den Käfer. Den anderen setzte er vorsichtig in die Schachtel zurück. Er würde ihn »Fünfer« nennen, weil er fünf schwarze Punkte auf dem Rücken hatte. »Fünfer«, flüsterte er, »hab keine Angst, ich tue dir nichts.«
Da knarrte die große Holztür vom Haupthaus. Er hörte seinen Namen rufen: »Edu, komm, Abendbrot ist fertig!«
Er wusste, wer heute Abend zu Besuch gekommen war und mit am Tisch saß. Er würde sein Essen nicht hinunterbekommen, und die Mutter würde vorwurfsvoll gucken oder, schlimmer noch, traurig sein.
Eduard gab nach drei Bissen auf.
»Du isst doch so gern Forellen, Junge. Was ist bloß wieder mit dir los, hm? Komm, mir zuliebe!«
»Ich hab Bauchschmerzen, ich geh noch an die Luft.«
»Tu das, lieber Junge, frische Luft macht die Wangen rot. Und du weißt
Weitere Kostenlose Bücher