Himmelskraft
sein Wagen durch die norddeutsche Heide. Um die zehnte Vormittagsstunde machte er vor demselben Heidekrug halt, in dem er schon vor rund einem Monat mit dem Alten eingekehrt war. Ein paar mächtige Lastkraftwagen, die vor der Wirtschaft hielten, fielen ihm auf, als er aus seinem Auto stieg.
Er trat in die Gaststube. An einem Fenstertisch saßen vier Männer in Lederjoppen, die offensichtlich zu den Lastwagen draußen gehörten. Turner ließ sich Kaffee geben und begann sich über sein weiteres Vorgehen Gedanken zu machen.
Während er noch nachdachte, flogen ihm Gesprächsfetzen von dem andern Tisch her zu.
»Weißt’ noch, Hinrich, als wir die dicken Fuhren für das AE-Werk hatten?« sagte einer von den Fahrern. Bei dem Wort AE-Werk spitzte Turner die Ohren. »Woll, woll, Klasen!« antwortete mit vollen Backen kauend ein anderer. »Ich bin damals fünfmal von Düren hierher gezottelt. Hatte jedesmal zehn Kabeltrommeln geladen; war eine gute Zeit.«
Henry Turner ließ seinen Kaffee kalt werden. Unter dem Tisch hielt er einen Notizblock auf dem Knie und notierte eifrig, was die Chauffeure am Nebentisch sich erzählten. Zehn Tonnen Kabel von Düren an das AE-Werk geliefert - da hatte er eine bessere Spur, als er heute früh zu hoffen wagte.
Die Fahrer nebenan waren inzwischen mit ihrem Mahl zu Ende gekommen.
»Ward Tid, Hinrich!« sagte einer von ihnen, während er sein Brotpapier zusammenfaltete. »Wir möt wedder los.« Er stand auf und rief nach dem Wirt, am seine Zeche zu begleichen. Auch die andern zahlten. Zu viert verließen sie die Gaststube.
Turner blieb allein in der Stube zurück. Was er hier durch einen glücklichen Zufall erfahren hatte, war nach seiner Meinung entschieden eine Tasse Kaffee wert. Lohnte es sich für ihn überhaupt, noch länger sitzen zu bleiben? Wäre es nicht zweckmäßiger, sofort nach Düren aufzubrechen? Dann mußte er nach Westen weiterfahren. Auch die Lastkraftwagen waren nach Westen abgegangen. Vielleicht konnte er unterwegs noch einmal in irgendeiner anderen Wirtschaft mit den Fahrern zusammenkommen und bei der Gelegenheit noch mehr aus ihnen herausholen? Was würde er von dem Alten schließlich erfahren können? Das Knäuel hatte der irgendwo in der Heide gefunden, und mehr würde er ihm auch heute kaum darüber sagen können.
Mister Turner schickte sich an, nach dem Wirt zu rufen, um seinen Kaffee zu bezahlen. -
Zu der gleichen Zeit, da Mister Turner vor dem Heidekrug aus seinem Wagen stieg, weilte Zacharias bei Dr. Frank. Sie befanden sich in einem andern Raum als dem, in dem sie vor einigen Tagen Dr. Bergmann und Professor Livonius die kalte Kathode vorführten. Es war ein etwa zehnmal zehn Meter im Geviert messender und fast doppelt so hoher Raum.
Eine Wand trug eine Schalttafel mit einer Reihe von Meßinstrumenten und Fernschaltern. Im übrigen war nichts weiter darin als ein gläsernes röhren- und kolbenförmiges Gebilde. Der ganze Glaskörper schimmerte in einem eigenartigen undefinierbaren Licht. Zacharias schaute auf ein Meßinstrument, dessen Zeiger langsam stieg.
»12 Millionen Volt, Herr Doktor.« Die Worte kamen langsam von seinen Lippen, während sein Blick zu der Röhre zurückkehrte.
»Es ist genau die Spannung, welche die Umwandlung der Materie bewirkt«, erwiderte ihm Dr. Frank. »Sie sehen die Legierung auf dem Boden der Röhre. Unter dem Anprall der Elektronen - sie schlagen mit 94 Prozent der Lichtgeschwindigkeit auf die Materie auf - schmilzt und verdampft sie nicht nur, sondern es findet auch die beabsichtigte
Umwandlung statt. Es entsteht der neue Stoff, den wir für die kalte Kathode brauchen.«
»Haben Sie sich schon eine Theorie über diese Vorgänge gemacht, Herr Doktor?« fragte der Alte nach langem Schweigen.
Dr. Frank nickte. »Ich habe mir eine Arbeitshypothese zurechtgemacht, aber Sie wissen ja, wie es mit solchen Theorien steht: Sie müssen erst durch die Praxis erhärtet werden. Ich hoffe, daß ich schon in den nächsten Wochen dazu kommen werde, die notwendigen Versuche zu machen.«
In die letzten Worte von Dr. Frank mischte sich die Klingel des Telefons. »Sie werden verlangt, Herr Zacharias«, sagte er, nachdem er den Hörer abgenommen hatte. Er deckte die Hand über das Mikrophon und sprach leiser zu dem Alten: »Der Stimme nach ist es der Krüger Horn.« Zacharias griff nach dem Apparat und hörte, was vom ändern Ende in den Draht gesprochen wurde. »Ist recht, Meister Horn. In fünf Minuten bin ich da. Sehen Sie, daß der
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