Himmelskraft
Weite glitt. Die Ballone hatten die Kammhöhe erreicht, und immer noch stiegen sie mit unverminderter Geschwindigkeit weiter. Jetzt standen sie über dem Kamm, jetzt überschritten sie ihn. Mit einem Seufzer der Erleichterung blickte Cowper in die Tiefe. Schneefelder sah er unter sich, sah, wie die letzten Enden des Netzes Spuren durch den Schnee zogen und ihn in leichten Wölkchen aufwirbeln ließen. Aber plötzlich erschrak er tief. Der Wind frischte immer mehr auf und trieb ihn in immer schnellerem Tempo über den inzwischen schon wieder abfallenden Gebirgskamm nach Nordwesten. Wenn es ihm nicht gelang, innerhalb der nächsten Stunden wieder den Boden zu erreichen, würde er aufs offene Meer hinausgetrieben.
In einiger Entfernung voraus erblickte er noch ein paar niedrigere Bergkämme. Dahinter fiel das Gelände stark ab, und von der Karte her wußte er, daß es vor der Küste in eine etwa hundert Kilometer waldfreie Ebene überging, die Sandwüste. Noch glücklich bis dahin kommen und dann landen! Das war jetzt der hauptsächliche Wunsch, der ihn beseelte. Aber das Schicksal hatte noch einiges andere mit Mr. Cowper vor. Hätte Cowper, der jetzt verloren und verfroren in dem Drahtnetz klebte, so etwas wie einen Höhenmesser bei sich gehabt, so hätte er feststellen können, daß er bereits in einer Höhe von mehr als fünftausend Meter durch die immer dünner und kälter werdende Luft dahintrieb. Aber etwas Derartiges führte Mr. Cowper nicht bei sich und so konnte er nur mit seinen Augen sehen, daß Berge und Schneefelder in einer kaum noch zu schätzenden Tiefe unter ihm lagen, während sein Flug mit gleichbleibender Geschwindigkeit nach Nordwesten hin weiterging.
Das Atmen wurde von Minute zu Minute beschwerlicher. Immer schwächer und elender wurde ihm zumute. Kaum hatte er noch genügend Kraft, sich mit den Armen, die er bis zu den Schultern durch das Netz gesteckt hatte, festzuhalten. Eine ungeheure Schläfrigkeit überkam ihn. Loslassen, sich in die Tiefe fallen lassen, das waren die letzten Gedanken, die er noch einigermaßen klar fassen konnte.
Ohne daß er es wußte, hatte Mr. Cowper noch Leidensgefährten auf seinem abenteuerlichen Flug. Das waren die vier Ballone, die das Netz trugen. Sie waren nicht als Freiballone mit einem offenen Füllansatz gebaut, der einen ständigen Druckausgleich zwischen dem Balloninnern und der Außenluft gestattet hätte - vielmehr dazu bestimmt, von Trossen in einer bestimmten Höhe gehalten zu werden, um dort das Netz zu tragen, waren sie wie Fesselballone gebaut, das heißt hermetisch geschlossen. Durch die große Höhe, in der sie jetzt dahinschwebten, wurde der Druck des in ihnen enthaltenen Traggases immer stärker und beanspruchte den Stoff ihrer Hüllen immer mehr - auch diese Ballone litten auf ihre Weise an der Höhenkrankheit, und nach den unverrückbaren Naturgesetzen kam es, wie es kommen mußte.
Ein Knirschen, ein Reißen plötzlich, der Schall einer in der stark verdünnten Höhenluft kaum hörbaren Explosion - der schwächste der vier Ballone war geplatzt. Schlaff flatterte seine leere Hülle in der Luft. Im nächsten Augenblick wiederholte sich das Schauspiel ein zweitesmal. Mr. Cowper hörte und sah von alledem nichts. Bewußtlos hing er in dem Netz. Aber nun begann sich das, was eben geschehen war, auszuwirken. Die Tragkraft der beiden noch unversehrt gebliebenen Ballone reichte nicht mehr aus, um das Netz zu tragen. In stetem Fall begann es in die Tiefe zu sinken, wobei die Hüllen der beiden geplatzten Ballone wie riesige Fallschirme wirkten und die Heftigkeit des Absturzes milderten.
In tausend Meter Höhe erwachte Cowper aus seiner Erstarrung. Mit dem Hochgefühl wiedergewonnenen Lebens erblickte er in der Ferne einen blauen Strich - die Küste. Würde er es noch schaffen? Und dann kam endlich der Augenblick, da das Netz mit seinen untersten Zipfeln den Boden berührte und sich zum Teil auf ihn hinabsenkte.
Doch jetzt begannen neue Schwierigkeiten. Unter dem Einfluß eines kräftigen Bodenwindes begann eine wilde Schleiffahrt. Gelegentlich durch kleinere Hindernisse aufgehalten, wurde das Netz gerüttelt und geschüttelt, daß Cowper seine letzten Kräfte aufbieten mußte, um nicht hinausgeschleudert zu werden. Auf wenigstens dreißig Stundenkilometer schätzte er die Geschwindigkeit, mit der das ganze System dicht über dem Boden dahintrieb. Eine ganze halbe Stunde mußte er noch aushalten, bevor das, was er so sehnlich herbeiwünschte, endlich
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