Himmelskraft
Sekunde zu Sekunde wachsendes Gewicht, und bald hingen ihm von der Hutkrempe hinab dichte Mengen von summenden Bienen um die Ohren. Und dann fühlte er ein unerträgliches Stechen im Gesicht, das ihn jede Vorsicht und Überlegung vergessen ließ.
Mit einem jähen Ruck riß er sich den Hut vom Kopf und schleuderte ihn weit von sich, was ihm wiederum ein halbes Dutzend Stiche in die Hände eintrug. Zerstochen, von starken Schmerzen gepeinigt, war Turner im Augenblick nicht in der Lage, klar zu denken. Sein eines Auge war durch einen Stich in das Oberlid vollkommen zugeschwollen, und auch das andere konnte er nur mit Not und Mühe noch einigermaßen aufbekommen.
Flucht war jetzt sein einziger Gedanke.
Eine qualvolle Viertelstunde kostete es ihn, bevor er endlich den Dorfausgang erreichte und auf die Heide kam. Mit Mühe entdeckte er das Kieferngehölz, in dem er seinen Wagen abgestellt hatte.
Erschöpft ließ er sich auf das Polster des Hintersitzes fallen, um erst einmal wieder zu Kräften zu kommen. Aber entsetzt fuhr er wieder auf, als er sein verschwollenes Gesicht in einem an der Wagenwand gegenüber befestigten Spiegel erblickte.
Schicksalsergeben streckte er sich schließlich auf dem bequemen Wagenpolster aus, und ganz allmählich kamen seine Gedanken wieder einigermaßen in Reih und Glied. Ganz dunkel erinnerte er sich, daß in einer Seitentasche des Wagens eine Art von Reiseapotheke stecken müsse. Bisher hatte er sich noch niemals darum gekümmert. Jetzt begann er danach zu suchen und entdeckte das Kästchen nach kurzer Zeit. Er entnahm ihm ein Fläschchen mit Salmiakgeist, tränkte damit einen Wattebausch und begann sein zerstochenes Gesicht abzutupfen.
Schon nach wenigen Minuten konnte er die Wirkung spüren. Das Brennen ließ fast völlig nach, und auch die Geschwulst ging zurück.
Einmal so weit, begann sein Geist sich bereits mit den nächsten jetzt akut werdenden Fragen zu befassen. Wohin zunächst? In den Heidekrug zurückkehren, war bei seinem derzeitigen Aussehen ausgeschlossen. Sein Entschluß war schnell gefaßt: Erst einmal wenigstens einige sechzig Kilometer nordwärts in die Heide fahren. Wenn es nicht anders ging, im Wagen selbst übernachten, lieber noch in irgendeiner Wirtschaft einkehren und dort die Nacht verbringen, bis er sich wieder einigermaßen unter Menschen sehen lassen konnte. Morgen, spätestens übermorgen würde hoffentlich wieder alles in Ordnung sein. -
Etwa zehn Minuten, nachdem Turner den Garten des alten Zacharias verlassen hatte, kehrte Jochen Dannewald von seiner Besorgung zurück. Sein Blick blieb plötzlich wie gebannt an einer Stelle auf dem Rasen haften.
Da war der Schwarm! Aber nicht in Gestalt einer Traube hing er an einem Baumast sondern in Form einer großen Halbkugel hatte er sich unmittelbar auf dem Rasen niedergelassen. So etwas hatte Jochen Dannewald in seiner langen Praxis noch nicht erlebt. Während er ging, um die Spritze und einen Wassereimer zu holen, kamen ihm Sorgen. Fürs Einfangen hatte der Schwarm eine sehr ungünstige Form. Stoßend und schiebend mußte Jochen von der Seite her mit dem Kasten herangehen und schließlich versuchen, das ganze Bienenvolk mit einem Gänseflügel in den Kasten zu fegen.
Die Spritze leistete, was Jochen von ihr erwartete. Unter dem Einfluß des feinen kalten Wassernebels schrumpfte der Schwarm schnell auf die Hälfte seiner bisherigen Größe zusammen. Mit einer flinken Bewegung gelang es Jochen weiter, die offene Wand des Fangkastens von der Seite her bis reichlich unter den halben Schwarm zu schieben. Während er dicke Strahlen aus seiner Imkerpfeife ausstieß, fegte er dann mit eiligen Strichen den Rest der wild aufbrausenden Immen in den Fangkasten hinein und ließ die Rollklappe herunterfallen.
Daß noch ein paar hundert Bienen in der Luft umherschwirrten, störte Jochen nicht weiter. Die würden erfahrungsgemäß sehr bald durch das Flugloch auf der anderen Seite in den Kasten einziehen und sich mit dem übrigen Schwarm vereinigen. Vorläufig konnte Jochen den Fangkasten ruhig ein bis zwei Stunden an Ort und Stelle stehenlassen.
Das andere, die Überführung des eingefangenen Schwarms aus dem Fangkasten in einen regelrechten Bienenstock, würde dann später kommen. Während Jochen sich die Vorgänge noch einmal vergegenwärtigte, kam ihm ein eigenartiger Umstand in Erinnerung. Als er vorhin den Fangkorb unter den Schwarm schob, hatte er für eine kurze Zeit einen starken Widerstand überwinden müssen, als
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