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Himmelsmechanik (German Edition)

Himmelsmechanik (German Edition)

Titel: Himmelsmechanik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Maggiani
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abhole. Wir verabreden uns, für den Nachmittag, für den nächsten Tag, für den darauf. Und ich bleibe hier, um auf unbestimmte Zeit auf sie zu warten, denn mittlerweile sind eine Menge unvorhersehbarer Dinge geschehen; sie trägt keine Uhr, um sie nicht zu verlieren, und sie ist nicht gewohnt, sich nach der Sonne zu orientieren. Ich warte, das tue ich immer, ich habe sie noch nie ihrem Schicksal überlassen. Ich tue das gern, und ich weiß, dass in nicht allzu langer Zeit sie an der Reihe ist, auf mich zu warten. Darauf, dass ich meine Mahlzeit beende, dass ich mit dem Kacken fertig bin, dass ich aus einem Krankenhaus entlassen werde, dass ich etwas Luft hole. Und dann wird sie auf den Tag warten, den ich auswähle, um zu sterben; sie wird darauf warten zu begreifen, ob es einfach oder ob es kompliziert und schmerzhaft sein wird, und wenn sie es begriffen hat, wird sie weiter warten, auf die eine oder andere Weise, bis dieser Tag endlich gekommen ist. Und dann, zu guter Letzt, wenn die sterbliche Hülle auf eine etwas seltsame und ihr angemessene Weise verstreut ist, wird sie auf den richtigen Moment warten, um mich besuchen zu kommen. Sie glaubt an das Jenseits, sozusagen; sie glaubt, dass wir nie aufhören zu sein. Aus diesem Grunde hat sie all meinen Versuchen widerstanden, sie aus dem Haus zu jagen; im Wesentlichen glaubt sie nicht an den Tod und fürchtet keine Trennung. Ich warne sie. Meine Nase wird spitzer und meine Lippen dünner; und, siehe da, ich schneide mich jedes Mal, wenn ich mich rasiere: Der natürliche Lauf der Dinge schreitet voran.
    Sie hat den Anschein, als wäre sie eine große Expertin, was den Tod betrifft. Ihre spekulative Ader bringt uns dazu, darüber zu sprechen. Dabei nutzen wir die Gelegenheiten, wenn die Arbeit in Teilzeit erledigt werden kann: Während wir das Badezimmer blockieren und unsere intimen Verrichtungen durchführen, wenn wir unsere Lektüre unterbrechen, die nicht voranschreitet, wie es uns gefällt, oder wenn sie uns zu aufregend erscheint, um die Seite, die wir gerade begonnen haben, zu beenden, ohne Luft zu holen. Am Tisch sprechen wir nie davon, weil das Essen uns gänzlich Geist und Herz ausfüllt, aber es kommt vor, dass wir es bei den Vorbereitungsarbeiten tun.
    »Sterben, sterben sterben«, und sie verdoppelt es, damit klar wird, dass sie sich dessen sicher ist, was sie sagt, »ist nicht so einfach, das wirst du sehen.«
    In Bezug auf den Tod wiederholt sie gerne und oft »es ist nicht so einfach«. Und da ich nicht vergessen kann, dass sie Expertin im Vereinfachen primärer Produktionssysteme ist, hilft mir das nicht gerade, einen offenen Disput zu bestreiten.
    »Es ist nicht so einfach, das Sein zum Verschwinden zu bringen«, kann sich die Inhaberin eines festen Arguments zu philosophieren erlauben, »und eben deswegen heißt das Sein korrekterweise Sein. Unbestimmter Modus, Tempus Präsens.«
    Und sie glaubt, damit auch ihr einsames Wandern nach Orto di Donna zu erklären und ihr Sich-Verlieren, und die Unzuverlässigkeit des Zeitpunkts ihrer Rückkehr; mich über die Gewissheit aufzuklären, die sie erhellt, wenn sie schließlich zur versäumten Verabredung kommt. Denn Nita ist davon überzeugt, dass die von Orto di Donna, die Erschossenen und Gepfählten von ’44, froh sind, ihren Besuch bekommen zu haben, dass sie sich freuen über ihre Biskuits und die Tatsache, dass in ihrer Blechschachtel das einzige Gebet ist, das sie spendet. Sie ist sich der Güte ihres Gebets und der Tatsache sicher, dass es für den unbestimmten Modus, Tempus Präsens von Sein, geeignet ist.
    Sie haben ihr von den Toten von Orto di Donna erzählt. Ich selbst habe ihr etwas von ’44 erzählt, in dem Sommer, als sie sich entschloss, in meinem Haus wohnen zu bleiben. In jenem Sommer gingen wir natürlich nach Orto di Donna, doch es war nicht bei dieser Gelegenheit, dass ich ihr davon erzählte, sondern im Bett, in einer Nacht, die so frisch war, dass man sie mit dem Lesen eines der Bücher verbringen konnte, die es verdienen, in das Heiligtum unseres Zimmers oben aufgenommen zu werden. Sie arbeitete sich an einem ihrer französischen Romane ab; und dieses Mal so vehement, dass sie mich zwang, einen Blick hineinzuwerfen. Auf dem Umschlag stand
L’éducation européenne
und auf der Rückseite mit exhibitionistischer Evidenz: »Der schönste Roman über die Résistance laut J.P. Sartre«. Ich hatte nicht den Eindruck, dass er mir gefallen könnte, so fing ich an, ihr von ’44 zu

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