Himmelsmechanik (German Edition)
erzählen. Um sie zu stören, und aus Eifersucht. Ich muss sagen, dass sie mir zuhörte, sie steckte einen Finger in die Seite, machte es sich auf dem Kissen bequem, damit sie mich mit ihrem speziellen schrägen Blick ansehen konnte, der vergangene gründliche Versuche zu verstehen gibt, und hörte mir bereitwillig zu. Als ich vom Reden müde war, schlug sie ihr Buch auf und ging direkt zu einem Zeichen, das sie mit dem Bleistift hinterlassen hatte. »Nichts Wichtiges stirbt jemals«, las sie, dann wandte sie sich ihren Dingen, ihrem Daumen, ihrer Seite zu.
Einige Zeit später habe ich diese
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wieder in die Hand genommen, die irgendwo herumlag, wie alles, was meine Frau gerade benutzt hat, und habe sie auch gelesen. Nein, am Ende hat es mir nicht gefallen: Dort war alles schöner als das Schönste bei uns, alle bedeutender und auf edle Weise leidenschaftlich.
Ich weiß nicht, ob der Autor je Gelegenheit hatte, den großen Helden William Grover-Williams kennenzulernen, fragte sich Nita, die über ihn natürlich weit mehr weiß als ich; sie sagte es, weil sie scheinbar dafür geschaffen sind, sich zu begegnen und große Freunde zu werden. Und sie hat nicht ganz unrecht. Beide Halbblut, ein wenig Pariser und ein wenig Europäer, beide verrückt nach Geschwindigkeit, und für ihre Verrücktheit zu Helden geweiht. Und die Liebe, die sie für die glücklichen Frauen begeisterte, die sie gehabt hatten, und die rebellische Leidenschaft, die sie auszeichnete und dazu bestimmte, mit intensiver Großzügigkeit ihr Leben aufs Spiel zu setzen. William Grover-Williams wurde zu früh ermordet, als dass ihm hätte in den Sinn kommen können, Romane zu schreiben, doch hätte er dort oben in Sachsenhausen einen Bleistift und ein Stück Papier gehabt, so hätte er, bevor er von uns ging, etwas sehr Ähnliches geschrieben wie das, was Romain Gary hinterließ, bevor er sich mit seiner alten Ordonnanzpistole in den Kopf schoss, schon alt, aber deshalb nicht weniger geistreich:
Liebhaber von gebrochenen Herzen werden freundlich gebeten, den Blick abzuwenden
. Herzen brechen manchmal wegen einer Kleinigkeit, und die Menschen glauben tatsächlich, dass man wegen einer Kleinigkeit sterben kann. Dieser Zettel war nicht nur ein letzter Zug Sarkasmus, sondern eine notwendige Erläuterung: Der heroische Flieger und Romanautor Romain Gary und der große Champion William Grover- Williams sind für etwas gestorben, und für etwas haben sie auch gelebt.
Je nach der Position, die ich auf der Toilette einnehme, zum Beispiel, wenn ich mich leicht zurücklehne, kann ich durch das Fenster westlich des Omo Morto die Zähne der Roccandagia sehen. Im Winter, wenn der Tag klar ist und der Wind aus dem Norden weht, sehe ich das Kreuz, das San Viano auf dem spitzesten Zahn aufgestellt hat. Vor mehr oder weniger 700 Jahren.
Die Geschichte, die wir erzählen, besagt, dass San Viano mit seinem Kreuz auf dem Rücken dorthinauf auf den Gipfel stieg, um Buße zu tun, und wir erinnern gern daran, dass seine Sünde die Sünde des Zorns war. Er war dem Volk des Dorfes Vagli böse, wohin er eines schönen Tages gekommen war, um den Glauben zu predigen und die Ankunft des göttlichen Gerichts auf die Erde vorherzusagen. Doch war dieses Volk, wie es auch zu diesen anfänglichen Zeiten allgemein bekannt war, renitent gegen den Glauben und gegen San Vianos Gott und vergalt ihm seine Freundlichkeit, indem es ihn mit Steinen bewarf, sobald er seinen Kopf aus seiner Einsiedelei steckte, die er sich am Rande eines Abgrunds gleich außerhalb des Dorfs gebaut hatte.
San Viano, der scheinbar aus den fernen Ländern der Skanier hierhergekommen war, hatte noch nicht die Heiligkeit erreicht und in seinem Glauben war er noch nicht so weit gegangen, die andere Wange hinzuhalten. Also warf er den Dorfbewohnern ihre Steine zurück. Doch die Erwartung und das Wohlwollen, die der mitleidvolle und barmherzige Gott diesem Mann gegenüber hegte, waren so groß, dass seine Steine als Brote die Köpfe erreichten. Lauwarme, knusprige Brote aus weißem Weizenmehl. Er vergalt Steine mit Broten, das ist die Wahrheit; doch anstatt ihnen die Augen auf die Güte von San Vianos Glauben zu öffnen, brachte das Wunder das Volk von Vagli dazu, ihn immer weiter zu bewerfen: Das Brot war gratis, reichlich vorhanden und gut.
Bis der Heilige, noch nicht vollkommen heilig, in barbarischen Zorn ausbrach und Gott anrief, er solle mit seinem ganzen Mitleid und seiner ganzen Güte Schluss
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