Himmelsmechanik (German Edition)
ein guter alter Vater für meine Frau, wenn sie zustimmen würde: Schon zu seinen Lebzeiten ist er eine Erscheinung, bald wird er eine Legende sein, und dennoch sorgt er sich hingebungsvoll um seine Lieblingstochter und geht wie ein Verliebter auf ihre Eigenart ein. Wer sonst, wenn nicht der Verfasser, kann bezeugen, wie jeder alte Mann noch darauf wartet, ein Kind zu haben, und jeder Waise sich noch ein wenig Vater erhofft?
Für Nita benutze ich weder die Namen aus ihrer Schachtel und noch weniger den in ihrem Personalausweis, übrigens ist es für mich nicht nötig, dass wir uns beim Namen nennen, und für sie auch nicht: Wir wissen ja, wer wir sind. Und das, was wir waren, hat keinen Namen, der zu mir oder zu ihr passen würde. Doch manchmal kommt es vor, dass es mir ein Vergnügen ist, und mehr als eine Notwendigkeit, sie bei ihrem Namen gegenwärtig zu halten, für mich zu nennen oder sie anderen gegenüber zu erwähnen. Dann benutze ich den, den die Vagli-Bewohner, die mit ihr zusammenarbeiten, ihr gegeben haben. In Vagli herrscht noch eine starke Erinnerung an die legendäre Ehefrau von General Garibaldi, und mit den beiden Pistolen am Gürtel und den in einem langen, bedrohlichen Zopf zusammengebundenen Haaren ist sie heute noch ein lebendiges Bild, wobei sich fast niemand mehr an ihre Geschichte erinnert. Aus diesem Grund gab es und gibt es in Vagli noch Anitas, keine getauften, denn kein Vater hat Lust, eine Nita zu Hause zu haben, sondern sie wurden erst später so genannt, aus familiärem Unmut oder populärem Ansehen. Natürlich sind es Frauen von großer Faszination, aber alles andere als gefügig; auf überhebliche Art leidenschaftliche Frauen und mit einer Neigung zum Aufstand, noch stärker, als es die aus Vagli im Allgemeinen sowieso schon sind. Ich kenne den Grund nicht, warum meine Frau sich ihren neuen Namen verdient hat, obwohl ich es mir vorstellen kann, und mir jedenfalls gefällt er. Mir gefällt es, eine Nita im Haus zu haben, mir gefällt es, sie so zu nennen, wenn sie mir den Rücken zukehrt und meine Stimme von einem Schauder überrascht wird, von dem nicht einmal sie weiß, ob es vor unerwarteter Freude oder leichtem Ärger ist. Sie dreht sich um und lächelt mich an, wobei sie leicht ihre Zunge zusammenrollt, wild und liebevoll wie ein Hund; und es ist Anita, wie sie der General hat lächeln und ihm die Stirn bieten sehen. Ich mag gern glauben, dass sie sich das eine oder andere Mal beim Umdrehen selbst überrascht und mich Garibà, Garibaldi, nennt. Das wäre wirklich der Gipfel meiner menschlichen Karriere.
Nita geht also mit ihren Biskuits in der Schachtel nach Orto di Donna, und wenn sie zurückkommt, scheint sie mir froh zu sein, dass sie zurückkommen wollte.
Dieser Platz ist ein jungfräulicher Ort, ein steiniger Tabernakel von makelloser Schönheit, unschuldig und hoch am Rande des Kamms, den das Gebirge zur anderen Seite, zum Meer hin wirft. Sie ist »oben«, wie meine Frau sagt, weil sie es wirklich ist, wie ein Votivaltar über den Trümmern des Steinbruchs 17 erhoben.
Der Steinbruch 17 ist wichtig, der Steinbruch 17 stellt etwas dar: Er ist die sauberste Quelle des Statuarius-niveus- Marmor. In diesem Steinbruch wurde bereits Marmor abgebaut, Jahrhunderte bevor die Invasoren der Antike ihn sich als ihre Sache sicherten und Kapital verschwendeten, um ihn mit drei Zenturien Elite-Antiguerillatruppen zu besetzen. Und das nur, um ein paar Tonnen ewiges Weiß für jeden ihrer blöden Cäsaren zu garantieren. Obwohl es nicht so aussieht, als ob die Einheimischen sich ihre Zeit mit der Kunst der dreidimensionalen Wiedererweckung himmlischer und irdischer Gottheiten vertrieben, ist es doch sicher, dass sie aus diesem Stein Becken zu hygienischen und religiösen Zwecken schlugen und Tafeln einmeißelten, um die Dekoration ihrer Häuser mit nach wie vor unleserlichen Ziffern zu verbinden. Und sie drechselten auch Schilder, um damit Gesetze und Befehle zu verkünden, und Wannen, um den Schweinespeck über den Winter aufzubewahren. Mehr oder weniger, wie man das heute noch tut; zwar werden heute die Gesetze mit weniger dauerhaften Mitteln bekannt gegeben, doch aus diesem reinsten weißen Marmor bestehen noch die Wannen des ganzen Reviers, und in seinen kalten Schatten lagert der Speck seiner Schweine in Frieden.
Um nach Orto di Donna zu kommen, müssen die Frauen einen nicht einfachen und nicht kurzen Weg auf sich nehmen, zu Fuß, wie es übrigens ihren Riten entspricht. Ich sehe
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