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Himmelsmechanik (German Edition)

Himmelsmechanik (German Edition)

Titel: Himmelsmechanik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Maggiani
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nie der passende Ort zu sein. Da ist ein steinernes Gesicht, dem man ein Wasserrohr zwischen die Zähne gesteckt hatte; es wurde von unseren alten Vätern gemeißelt, und von diesen
Köpfchen
findet man hier und da noch welche, begraben unter den Kellern der ältesten Häuser, eingezwängt in die Pfeiler, die die Gewölbe der höhergelegenen Ortsteile tragen. Es ist ein steinernes Oval aus Porphyrgestein, gedrechselt und mit wenigen Kennzeichen behauen: zwei längliche Augen, eine gerade Nase und ein dünner Mund. Sie nennen sie
Köpfchen
, weil sie eher die Dimension eines Kinderkopfes als den eines Mannes haben. Aber es sind Gesichter mit entschlossenem und festem Blick, und jedes von ihnen ist ein strenger und unbequemer Augenzeuge für alle, deren Seele nicht im Reinen mit dem ist, was sie tun oder sagen oder versprechen. Man weiß, dass die Unsrigen die Gesichter prägten, indem sie sie ihren Vorfahren ähnlich machten und sie unter das Feuer des Hauses stellten; damit sie ihre mürrische Aufsicht fortführten, damit Generation um Generation alles glatt lief. Damit die Charaktere aufrecht und in ihrem Aufrechtsein unversöhnlich wären. In diesem Moment meines Lebens denke ich, ich könnte mich ruhig mit Nita an diesem Brunnen verabreden, meinen Mund unter das Rohr halten und ohne Scham den Blick des
Köpfchens
erwidern, das es trägt. Aber erst jetzt. Die Duse hat es mit achtzehn Jahren getan, die Duse hat auf ihre Liebe geschworen, wohl wissend, dass der Zeuge ihrer Väter sie bewertete und beurteilte. Und sie hat es an Weihnachten ’44 ohne Scham und ohne Angst getan. Sie hat es mir gegenüber als eine Begegnung voller Ergriffenheit und Freude erinnert; sie sagte mir, sie habe sonst nichts ersehnen können, und es sei der schönste Heiligabend gewesen, den sie bis dahin erlebt hatte. Ich glaube, dass es auch der schönste von allen folgenden gewesen ist, obwohl sie in meiner Gegenwart stets Scham verspürt hat, Vergleiche anzustellen, und besonders an Weihnachten.
    Ich glaube nicht, dass mein Vater in der Lage wäre, das alles zu verstehen. Oder vielleicht hat er es verstanden, aber nichts tun können. Die Liebe der Männer hat immer irgendwo einen Fehler, sie schneidet am Ende immer schlecht ab. An jenem Heiligabend war das Geschenk meines Vaters an die Duse ein mit Papageien bedrucktes Seidentuch, darin war ein großes Stück Schokolade. Dieses Tuch, das sie mir am Nachmittag der Enthüllungen zeigte und das auch zehn Jahre später noch nach Schokolade roch, hat die Duse, soweit ich weiß, nie getragen. Ich weiß nicht, warum; ich weiß nicht, ob es für sie etwas Unberührbares war, der Ring eines nie gehaltenen Heiratsversprechens, oder vielleicht konnte sie sich nicht mit Papageien am Hals vorstellen. Wer hätte sich die Duse überhaupt mit Papageien vorstellen können? Ich glaube, es liegt noch in der zweiten Schublade der Kommode, wo ich sie es habe hinlegen sehen, und wenn wir ihr Haus räumen, werden wir einen Platz dafür finden müssen.
    Es ist ein Problem zu entscheiden, was wir mit ihren Sachen machen sollen, die sperrig sind, die in den meisten Fällen unbegreiflich und unverwendbar sind. Selbst wenn man ein treu ergebener Sohn ist, wie soll man ihren tropischen Garten mögen, ihre in Zeitungspapier eingeschlagenen Schulbücher, die mit Schleifen verzierten Aktenmappen, vollgestopft mit Ministerialrundschreiben, die Bestecke und Teller, die noch die aus der Osteria del Ponte sind und von denen keiner ohne Sprung oder Macke ist? Sie hat diesen Haufen von Kram gern gehabt, aber dennoch wird daraus kein Schrein. Die Ungeborene wird das Akkordeon bekommen, das noch in seiner Hülle aus Lenci-Filz steckt und noch gut funktioniert, und wenn sie jemals Lust bekommt, ausreichend die Brust und die Arme auszubreiten, kann sie es dann auch spielen lernen. Und das Tuch mit den kleinen Papageien werde ich schließlich für mich behalten, als Teilentschädigung für das, was mir mein Vater nie gegeben hat, und falls ich noch die Kraft habe, den Angeber zu markieren, werde ich es auf dem Totenbett Nita übergeben, als Teilentschädigung für alles.
    Was meinen Vater betrifft, so ist alles, was man von ihm weiß, dass seine Kompanie zu denen gehörte, die an Neujahr ’45 versuchten, die Front zu durchbrechen, indem sie Monte Castello stürmten. Sie brauchten zwei Anläufe, bevor es ihnen gelang, und er war einer der wenigen, die dabei nicht ihr Leben ließen. Er wurde verletzt und nach Pistoia gebracht. Der

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