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Himmelsmechanik (German Edition)

Himmelsmechanik (German Edition)

Titel: Himmelsmechanik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Maggiani
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haben, als hätte er sein ganzes Leben auf den Kautschukplantagen gearbeitet. Und während er sprach, sah er weiter jedem von ihnen in die Augen und besonders Chico, als wollte er sich vergewissern, dass er verstanden hatte und mit dem, was er sagte, einverstanden war. Und Chico war Wort für Wort mit Herrn Welles einer Meinung, besonders in alledem, was er nie zuvor gedacht hatte. Wie dumm ich doch aufgewachsen bin, dachte er, in welchem Unwissen hat mich der Alte doch leben lassen. Beinahe musste er weinen, und er fühlte, wie er ihn umarmen wollte, um ihm zu sagen: Vater, ich bin dein Sohn. Oh, der verstand seine Sache, der Amerikaner!
    Er beendete seine Rede und beschwor das Publikum, jedem der Versammelten möge bewusst sein, dass dies der Moment sei, um den Marsch für die Freiheit und den Frieden zu beginnen. Die nur sie, die leidenden und gerechtigkeitsbedürftigen Menschen, für die Welt fordern und ihr schenken könnten. Deshalb habe Präsident Roosevelt den ängstlichen Vargas überzeugt, gegen die Diktatoren in den Krieg einzutreten, deshalb sollten sie stolz auf den Mut ihres Landes sein, und gerade deshalb sollten sie, zusammen mit ihren Hoffnungen, auch ihren Mut der Sache des Weltfriedens widmen.
    Und es gab Applaus, der durch das Parkett hallte, als hätte sich ein Abgrund aufgetan, und an jenem Tag im Pariser Theater schien es wirklich, als sei eine neue Jugend entstanden und zusammen mit ihr die Gewissheit, dass ein neues Brasilien geboren wurde. Während Herr Welles sich vor dem Beifall verneigte, sah er weiterhin Chico an und lächelte ihm zu, einen Schritt von ihm entfernt, der Tränen in den Augen hatte und von Herrn Welles in diesem Moment nichts anderes wollte, als dass er nie aufhören würde zu sprechen, und da klar war, dass dieser beschlossen hatte, nichts mehr zu sagen, sah er das Ende der Rede als eine Art Verrat.
    Und dann schloss sich der Vorhang, und der Amerikaner verschwand im Halbdunkel der Falten wie eine Erscheinung, die langsam verblasst. Chico wartete geduldig, dass die Menschen hinausgingen: Er hoffte von ganzem Herzen, dass dieser Mann nicht nur gekommen war, um zu verschwinden, sondern wie in einem seiner lustigen Tricks für ihn wieder auftauchen würde, um noch einmal etwas zu ihm zu sagen. Und genau das geschah auch.
    Als die Lichter schon fast alle gelöscht waren und das große Pariser Theater von den letzten eiligen Schritten der jungen Brasilianer widerhallte, die sich beeilten, ihr Leben und ihr Land zu verändern, schaute Herr Welles aus dem Vorhang hervor und schritt in seiner ganzen Herrlichkeit die Stufen der Bühne herab. Chico kam es vor, als würde der Gott Zeus in die Welt der Sterblichen eintreten, und er fühlte sich unendlich glücklich, für diesen Besuch ausgewählt worden zu sein. Herr Welles umarmte ihn und sprach mit ihm, wie es ein Vater tun würde, der unerwartet seinen Sohn an einem weit von zu Hause entfernten Ort wiedertrifft. Er wollte alles wissen, was ihm geschehen war, wollte, dass er ihm seinen Plan bestätigte, das griechische Meer zu besuchen, und war froh zu erfahren, dass der Plan schon in Angriff genommen war. Er fragte ihn, ob ihm seine Zaubertricks gefallen hätten, denn, so erklärte er, in dieser Kunst fühlte er etwas Übernatürliches, wie eine Gabe der Götter. Er fragte ihn, ob ihm seine Rede wirklich gefallen habe, und wie er ihm vorkam, als er ihn auf der Bühne beobachtet hatte.
    Und genau wie ein fürsorglicher Vater wartete er Chicos Antworten nicht ab, sondern stellte ihm immer neue Fragen, als würde er schon all seine Gedanken kennen. Und Chico blieb nichts anderes übrig, als den Atem anzuhalten und zu nicken. Auch als er aufhörte, Fragen zu stellen, und anfing, vom Krieg zu sprechen, wie er all seine Pläne aufgeschoben hatte, um in ganz Amerika herumzureisen und von der großen Tragödie des Krieges und der großen Chance zu erzählen, die daraus entstehen konnte. Einer Gelegenheit für alle Unterdrückten einschließlich seiner selbst; denn, das musste Chico wissen, auch er war unterdrückt. Nein, gewiss nicht wie ein Sklavenarbeiter auf einer Plantage, sondern unterdrückt in seiner Fantasie und seiner Kunst, Knecht von skrupellosen Händlern, die alles in Geld verwandeln wollten, was der Geist zu schaffen verstand. Er sagte auch, er habe das ihn betreffende Projekt nicht vergessen, habe sehr viel darüber nachgedacht und habe dafür auch schon einen Plan; aber jetzt sei nicht die Zeit dafür, jetzt könne jeder

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