Himmelsmechanik (German Edition)
es getan werden musste. Dass es nicht nur darum ging, diese alte Frau gern zu haben, sondern sie auch an das zu erinnern, woran sie sich nicht erinnern wollte. Denn das ist die Pflicht der Kinder gegenüber den Eltern: all das lebendig zu halten, was diese an Lebendigem gehabt haben, auch wenn sie gern darauf verzichten würden, besonders wenn alles, was sie tun können, ist, sich sterben zu lassen. Und sie sagt auch, dass Marta nichts vergessen hatte und nicht so vertrottelt war, dass sie diese Rosen und diese Torte nicht als das gesehen hätte, was sie waren. Nun haben sie sie am Ende tot aufgefunden.
Sie ist heruntergekommen, um mich zu holen, und ich bin mit Ulisse hingegangen, dem Sohn von Aristo, der an jenem Tag in der Ambulanz der Barmherzigen Dienst hatte. Sie stank nicht so sehr, sie hatte nicht viel, was hätte verfaulen können. Wir haben sofort die Lämmer weggebracht und ihnen zu trinken gegeben. Sie zitterten, als hätten sie den Geruch des Schlachthofs verspürt, sie wanden sich und versuchten, wieder hineinzugelangen; sie wollten Martas Strümpfe ganz auffressen, sie hofften, wieder zu ihr ins Bett zurück zu können. Jedenfalls war nicht klar, warum sie noch da waren: Marta musste gespürt haben, dass etwas mit ihr geschah, denn sie hatte den Pferch geöffnet und die Herde davongejagt. Vielleicht hatte sie in Gesellschaft sterben wollen, vielleicht hatte sie gedacht, sie würden es schnell merken und weglaufen; merkwürdig, dass sie nicht daran gedacht hatte, dass manchmal die Kinder bei ihren Müttern wachen, bis sie sterben. Doch von Kindern, von ihren Kindern, wusste sie nichts.
Sie lag im Flur, der vom Stall in die Küche führte. Über den Strümpfen, dick wie Gamaschen, hatte sie Filzpantoffeln an, die an der Stelle durchlöchert waren, wo sich die arthritischen Knochen breit gemacht hatten, um sich etwas Erleichterung zu schaffen, sie trug Militärhosen, an den Fesseln geschlossen wie die der Fallschirmjäger, und über den Hosen eine Schürze aus schwarzem Kattun; und darüber noch ihre violette Windjacke mit kaputtem Reißverschluss. Sie war auf die Seite gefallen und hatte einen Arm ausgestreckt, um ihre Schulter mit der offenen Handfläche zu schützen; sie war zusammengekrümmt und hielt die andere, noch geschlossene Hand auf den Zipfeln des Schürzenbündels, als wäre ihr letzter Gedanke gewesen, den Inhalt nicht zu verlieren. Gewiss ist das ihr letzter Gedanke gewesen. Wir nahmen sie, wie sie war, legten sie auf eine Plane und brachten sie ins Krankenhaus, zur Behörde. Als sie ihre Schürze öffneten, sahen sie, dass fünf Eier darin waren. Noch unbeschädigt nach diesem ganzen Durcheinander. Sie gaben sie mir, wie eine Beute, die mir zustand, als wäre Marta ein Wrack, das ich herrenlos auf dem offenen Meer gefunden und an dem ich bei den Behörden mein Recht auf Plünderung eingefordert hätte. Ich fragte Ulisse, ob er sie mit mir teilen wollte, aber Ulisse hat einen hohen Cholesterinspiegel und kann Eier nicht einmal sehen. So habe ich Martas Eier mit nach Hause genommen und sie Nita gegeben, damit sie sie mit ihren Freundinnen teilte. Zu fünft waren sie Marta besuchen gegangen, und es waren fünf Eier. Meiner Meinung nach hatte Marta sie aus dem Stall geholt, um sie ihnen zu geben. Wenn sie wirklich gespürt hatte, dass sie von uns ging, wollte sie vorher die Rosen und die Torten mit etwas wiedergutmachen, was sie hatte. Den Mädchen etwas Gutes geben, etwas, was sie übrig hatte, damit sie begriffen, dass sie sich erinnerte. Dass sie sich erinnerte, auch wenn sie nicht wollte.
Und dann war noch das Problem, wo wir sie beerdigen sollten. Marta hatte nichts, ganz zu schweigen davon, dass sie etwas für einen Grabstein beiseite gelegt hätte. Alles, was ihr die Behörde zu bieten hatte, war ein vorübergehendes Grab auf dem Zentralfriedhof, und das wäre würdelos gewesen. Don Gigliante ließ sich blicken und bot einen guten Platz an, vor jeder Verpflichtung und Knechtschaft auf Ewigkeit verbürgt, auf dem Friedhof, den seine Dorfbewohner sich in offenkundigem Widerstand gegen das napoleonische Edikt selbst gebaut haben, gerade um sich die Gewissheit zu garantieren, dass niemand post mortem seine Nase in ihre Angelegenheiten steckte. Das wäre eine gute Sache gewesen, auch wenn dieser Platz etwas zu weit von allem entfernt war, womit Marta in den letzten sechzig Jahren zu tun hatte, doch er war für ihn selbst passend, da man weiß, dass Don Gigliante sie während des Krieges
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