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Himmelsmechanik (German Edition)

Himmelsmechanik (German Edition)

Titel: Himmelsmechanik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maurizio Maggiani
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Rest ist Gerede der Leute. Tatsache ist, dass es vom Ponte bis nach Pistoia ungefähr 40 km Luftlinie sind, und diese Distanz ist nie überwunden worden. Ich glaube nicht, dass die Duse jemals nachgefragt hat, um etwas zu erfahren; wie ich meine Mutter kenne, bestimmt nicht. Ich habe es getan, aber nicht lange, nicht so weit, mich demütigen zu müssen und jemanden zu fragen, der es nicht begreifen konnte, der nicht wissen konnte, wie sich die beiden im verhängnisvollen Herbst ’44 auf dem Ponte di Campia getroffen haben. Mehrmals wollte man mir davon erzählen, ohne dass ich gefragt hätte, und meistens waren es Fantasien, nur um zu zeigen, dass man es faustdick hinter den Ohren hatte.
    Wahrscheinlich ist, dass der Typ, der dreißig Jahre lang Wärter auf dem Friedhof der Brasilianer außerhalb von Pistoia gewesen ist, er war. Ein Verwirrter, wie man sagt, der nie mit irgendjemandem gesprochen hat, von dem niemand wusste, wovon er lebte und auch nicht genau, wohin er schlafen ging, der aber diesen Friedhof blitzsauber hielt. Einen Friedhof, wo nie jemand hinging, bis Ende der Siebziger der brasilianische Präsident persönlich und in großem Pomp auftauchte, um die sterblichen Überreste der Befreier Europas abzuholen und sie in die Heimat zurückzuführen. Und da stellte sich heraus, dass dieser Wärter sich auf den Weg gemacht hat, um endlich die vierzig Kilometer zu überwinden. Nur dass, und auch dies ist nur Gerede, er einen zu großen Bogen schlug; oder er sich nach der ganzen Zeit, die vergangen war, schließlich verlaufen hat. Und er fand sich vor dem Zahn der Pania della Croce wieder. Und von dort aus hat er gesehen, was er sein ganzes Leben lang suchte. Er hat das blaue griechische Meer gesehen und ist hineingesprungen.
    Es bliebe allerdings noch zu begreifen, warum er zuvor dreißig Jahre lang einen Soldatenfriedhof hütete. Vielleicht hat er sich bei der Schlacht von Monte Castello den Kopf aufgeschlagen und hat die ganze Zeit gebraucht, um wieder zu genesen; vielleicht ist derjenige, der von der Pania hinuntersprang, ein anderer Blödkopf, und er ist immer noch dort und lehnt am Gitter des aufgelösten Friedhofs. Nehmen wir aber einmal an, er schwimmt seit sechzig Jahren in seinem griechischen Meer und lebt in einem alten Tuffsteinhaus auf einer Insel im Golf von Chalkidiki; und von dort aus kann er, wenn er noch gut sieht, die Küste sehen, an der die Schiffe der Achäer landeten. Er wird sicherlich in den Schmerzen des Alters und den bösen Erinnerungen von zahlreichen Kindern und Enkeln getröstet, von seinen Nachbarn wegen seines fröhlichen Charakters geliebt, von den Behörden wegen der gründlichen Kenntnis des nationalen Epos respektiert. Das alles kann wahr sein, doch nichts davon ist von irgendeiner Bedeutung. Eine Wahrheit, die zu nichts mehr nütze ist.

Die Feindseligen
    Am 25. April ist Marta gestorben. In Wirklichkeit ist sie schon drei oder vier Tage vorher gestorben, aber sie wurde am 25. April gefunden. Nita war auch dabei. Sie und ihre Freundinnen sind mit Blumen zu ihrem Stall hinaufgegangen und haben es sofort am Geruch gemerkt. Ein toter alter Mensch stinkt mehr als jedes lebende Tier. Und um die Wahrheit zu sagen, Tiere gab es keine mehr im Stall und auch nicht im Pferch, außer zwei Lämmern, die halbtot vor Hunger und Durst waren und ihr die Strümpfe aus grober Wolle fast ganz abgenagt hatten. Die Mädchen haben sich erschrocken. Es war nicht das erste Mal, dass sie zu Marta hinaufgingen.
    Es war eine Idee von Nita, sie am 25. April besuchen zu gehen und ihr Blumen und eine Torte zu bringen. Trotz ihres Charakters und ihres festen Entschlusses, nichts mehr von Feiern und Jahrestagen wissen zu wollen, hatte sie sie nie weggeschickt. Offenbar waren sie ihr sympathisch geworden. Nita sagt, sie gingen dorthin, suchten etwas, wo sie die Blumen hineinstellen konnten, gekaufte Blumen, Rosen, legten das Tischtuch auf und aßen die Torte. Marta redete nie, hörte aber zu, was die Mädchen erzählten. Und die Mädchen, sagte Nita, plauderten über das, was passiert war. Es sah so aus, als wäre Marta froh: Sie aß ihr Stück Torte, dann nahm sie noch eins und sah sie an, starrte sie eine nach der anderen mit ihren vom grauen Star feuchten Äuglein an, als würde sie sich bemühen, jedes Mal zu rekapitulieren, wer sie waren, woher sie kamen, wie sie geboren wurden und wer sie gemacht hatte. Wenn die Torte aufgegessen war, standen sie auf und gingen wieder.
    Nita sagt, sie taten es, weil

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