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Himmelspfade - Engel weisen uns den Weg

Himmelspfade - Engel weisen uns den Weg

Titel: Himmelspfade - Engel weisen uns den Weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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hinauf. Dabei nahm ich immer zwei Stufen auf einmal. Während ich hinaufrannte, streckte Edward den Arm nach mir aus. Oben angekommen, rief ich: »Geschafft!«
    Das Badezimmer am Ende der Treppe wurde sehr wichtig für mich – es wurde mein Zufluchtsort. Das Bad war klein, aber das Wichtige darin war für mich der Lichtschalter, ein Zugschalter an einer Schnur. Am ersten Abend stellte ich fest, dass ich genau in dem Moment, in dem ich oben an der Treppe angekommen war, die Hand ins Badezimmer strecken, an der Schnur ziehen und damit das Licht anschalten konnte. In meinem Kopf entwarf ich bereits alle möglichen Strategien.
    An diesem Abend musste ich noch einmal die Treppe hinuntergehen. Ich holte tief Luft und sprach mein übliches Gebet: »Jesus und Maria, ich hab euch lieb. Rettet die Seelen.« Ich konnte spüren, dass Edward mich berührte. Es war, als ob mir das Leben entzogen würde – es floss aus meiner Seele, als würde er es als Gnade von mir empfangen und an andere weitergeben. Tief in meinem Inneren wusste ich, dass die anderen da waren und warteten. Sie warteten darauf, befreit zu werden. Dieses Wissen hielt mich jedoch nicht davon ab, so schnell zu laufen, wie ich nur konnte. Unten angekommen, schaltete ich sofort das Licht in der Diele an und flüchtete mich in die warme Küche.
    Sehr zu meinem Kummer beschlossen meine Eltern, dass ich nach unserem Umzug nach Leixlip nicht mehr zur Schule gehen sollte. Ich war immer gerne in die Schule gegangen und hatte gerne gelernt, und nun konnte ich nirgendwo mehr hingehen, um den Geistern zu entkommen. Edward stand ständig auf der Treppe, und oft sagte ich zu ihm: »Ich sehe dich! Lass mich einfach in Ruhe!« Dann lächelte er mich nur an. Er war stets sehr gut gekleidet und sah elegant und stattlich aus.
    In der Diele des Hauses gab es ein Telefon und ein altes Telefonbänkchen. Eines Tages klingelte das Telefon, und weil sonst niemand im Haus war, ging ich dran. Es war meine Tante. Während ich mit ihr sprach, alberte Edward am Treppengeländer herum. Er imitierte Vogelstimmen und zwitscherte sie mir ins Ohr, um mich von dem Telefonat abzulenken. »Huch, schau mal, dort am Boden rennt eine kleine Maus«, rief er plötzlich. Vor Schreck machte ich einen Satz – obwohl ich einmal Mäuse als Haustiere gehalten hatte. Ich werde diesen Tag nie vergessen, denn Edward war so sorglos, fröhlich und ständig zu Scherzen aufgelegt. Ein paar Monate nach unserem Einzug in Leixlip kam Paps auf die Idee, dass ich in seiner Werkstatt in Rathmines arbeiten könnte. Ich war begeistert. Mir gefiel die Vorstellung, zur Arbeit zu gehen. Außerdem war ich sehr erleichtert, dass ich so eine Ausrede hatte, um zumindest zeitweise von den Geistern wegzukommen. An dem Abend, als Paps diesen Vorschlag machte, ging ich die Treppe hoch – das heißt, ich rannte wie immer – und wurde zum ersten Mal nicht behelligt, nicht das geringste bisschen. Und ebenso wenig am nächsten Morgen, als ich hinunterging. Ich lächelte, denn ich wusste, dass Edward klar war, dass ich nun das Haus verlassen durfte. Die Arbeit in der Autowerkstatt gefiel mir sehr, und ich machte mich gut. Jeden Abend, wenn ich nach oben musste, um ins Bett zu gehen, rannte ich die Treppe hoch und griff, sobald ich den oberen Flur erreicht hatte, sofort nach der Lichtschnur im Badezimmer. Wenn ich heute daran denke, kommt es mir dumm vor. Ich wusste, dass ich vor nichts Angst zu haben brauchte, aber wenn es dunkel war, ging ich einfach nicht gerne diese Treppe hoch. Manchmal war die Glühbirne in der Diele oder im oberen Flur kaputt, und meine Eltern wechselten sie nicht immer sofort aus. Es schien, als müsste es genau so sein – als müsste es auch die Dunkelheit geben. Doch ganz gleich, wie schnell ich nach oben rannte, immer wurde ich angehalten, ganz so, als liefe alles in Zeitlupe ab oder als wäre die Zeit stehen geblieben. Jedes Mal spürte ich den ganzen Schmerz und die Traurigkeit dieses jungen Mannes. In gewisser Weise ließ Edward die Sünden, die Wut und den Hass derjenigen frei hinausströmen, die ihn und Marie verletzt hatten. Er versuchte, die Sünden anderer reinzuwaschen. Es war, als müsste ich als Mensch zum Ausgleich für die Sünden derer, die die Tragödie ausgelöst oder nicht verhindert hatten, all den Schmerz spüren. Die Sünden waren an künftige Generationen weitergegeben worden. In gewissem Sinne wurde von mir erwartet, dass ich für die Sünden der Ahnen bezahlte. Ich kann es mir nur so

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