Himmelspfade - Engel weisen uns den Weg
auch bereits zu leiden gehabt. Er berichtete Edward von dem großen Hass, den die Leute ihm, Marie und dem Kind gegenüber empfanden. Und er fügte hinzu: »Dein Vater ist ein unerbittlicher Mann. Er kennt keine Gnade.« Edward verließ seinen Freund wieder und ging durch die Stadt. Da erblickte er Marie, und sie sah ihn. Sie sprachen nicht miteinander, konnten aber offenbar gegenseitig ihre Gedanken lesen. Marie begab sich an die Stelle im Wald, an der sie sich das letzte Mal heimlich mit Edward getroffen hatte. Sie hoffte, Edward würde kommen können – und sei es auch nur für einen kurzen Augenblick. Ihr Treffen wurde mir nie gezeigt, aber ich weiß aufgrund der weiteren Ereignisse, dass es dazu kam. Und dass jemand sie beobachtet hat.
Auch Marie begegnete ich um diese Zeit häufig. Meist war sie allerdings sanfter als Edward, weil sie mich ihren Schmerz ja bereits hatte spüren lassen, als ich vor vielen Jahren in Mountshannon in den kleinen Gang geschaut hatte. Manchmal sah ich Marie in unserem neuen Esszimmer. Immer schien sie zu putzen oder abzustauben. Das Haus in Leixlip war eine neu erbaute Doppelhaushälfte, aber ich hatte immer den Eindruck, dass es für sie irgendwo anders stand. Manchmal beobachtete ich, wie sie durch das Esszimmerfenster schritt, als wäre es nicht da. Dann ging sie in den Garten, und es sah so aus, als würde sie Wäsche aufhängen oder einen Teppich ausklopfen.
Marie war immer so fröhlich und unbeschwert. In ihrer Nähe schien stets die Sonne. Manchmal hatte es den Anschein, als würde sie eine Schürze tragen, in der sich der Wind verfing. Sie lächelte mich sehr oft an. Wenn sie das tat, verspürte ich zuweilen einen tiefen Trost, so etwas wie Vergebung, als verletze sie das, was ihr geschehen war, nicht mehr. Gelegentlich sprach sie wortlos mit mir. Eines Tages war ich im Esszimmer, und Marie erzählte mir, wie es war, als sie Edward zum ersten Mal sah. »Er war so umwerfend, so attraktiv. Ich hatte noch nie einen Jungen gesehen, der so gut aussah. Ich wusste nicht, wer er war oder wie er hieß, aber von diesem Tag an hielt ich nach ihm Ausschau und hoffte, ich würde ihn wiedersehen. Ich musste mir deswegen auch gar keine Gedanken machen, denn ich hörte, dass auch er nach mir Ausschau hielt. So fing alles an, Lorna. Wir verliebten uns ineinander. Wir wussten, dass wir füreinander bestimmt waren.«
Wenn ich von meiner neuen Arbeit in einem Kaufhaus nach Hause kam, sah ich Marie manchmal in meinem Zimmer am Fenster stehen. Jetzt, wo ich daran denke, wird mir plötzlich bewusst, dass ich sie immer nur an diesem und nie an einem anderen Fenster gesehen habe. Sobald ich von der Bushaltestelle aus um die Ecke bog, sah ich, wie sie den Kopf drehte und mich unverwandt ansah. Manchmal hob ich dann die Hand und winkte ihr zu, bevor ich den Blick wieder auf den Fußweg senkte und weiterging. Wenn ich wieder aufsah, war sie stets verschwunden. Manchmal jedoch winkte ich nicht. Dann tat ich so, als hätte ich sie nicht gesehen, und schaute starr nach unten. In diesen Fällen stand sie stets noch am Fenster, wenn ich aufblickte – als warte sie auf mein Winken, auf meine Bestätigung. Dann erst verschwand sie. Wenn ich heute daran denke, muss ich lächeln.
Kapitel 18
Die Tragödie nimmt ihren Lauf
Ich werde nie den Moment vergessen, als ich Joe das erste Mal mit nach Hause nahm, um ihn meiner Mutter vorzustellen. Als wir zur Eingangstür hereinkamen, warf ich einen verstohlenen Blick nach oben und sah die beiden Geister auf der Treppe – Arm in Arm standen sie da und lächelten mich strahlend an, als würden sie uns segnen und uns alles Gute wünschen.
In der ersten Zeit, in der Joe und ich zusammen waren, dachte ich ständig an die beiden Geister. Eigentlich dachte ich immer an sie. Das mag schwer zu verstehen sein, aber ich betete die ganze Zeit für sie. Ich betete mit jedem Atemzug und wusste, dass ich nie aufhören konnte zu beten, was immer ich auch tat. Sogar wenn ich zu Abend aß, betete ich noch.
Eines Tages, als ich gerade im Garten saß und mein Kaninchen fütterte, zeigten mir die Engel mehr von der Geschichte. Sie zogen den Vorhang beiseite und schenkten mir Einblick in etwas, was mich zutiefst traurig machte. Ich sah Maries Mutter. Sie ging zum Fluss und hielt dabei stolz Maries Baby im Arm. Ich hatte den Eindruck, dass Maries Baby an dem Tag zum ersten Mal öffentlich gezeigt wurde. Es fand wohl irgendein Fest statt, denn alle Leute waren unterwegs zum Fluss.
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