Himmelsschatten
nächsten zehn Minuten herrschte totale Panik, doch ein Außenstehender hätte nichts davon bemerkt. Die Standardeinstellung bei Mission Control hieß: kühlen Kopf bewahren, nicht die Nerven verlieren, gefasst bleiben. Kluge Entscheidungen traf man mit ruhi ger Hand und gesenkter Stimme. Aus Erfahrung erkannte Harley indes die Anzeichen für Chaos … ihm entgingen nicht die verstohlenen Blicke, die zwischen Kennedy, Weldon und Trieu hin und her flackerten. Und dann zwischen Weldon, Jones und Bynum, die soeben eingetroffen waren.
Wie hoch die Anspannung war, bemerkte man auch an der Art, wie mehrere Controller in der hinteren Reihe ihre Stühle zusammenschoben und sich leise miteinander berieten.
Endlich erhielten sie alle das Update: Yvonne, außer sich vor Angst, war in der Venture gefangen, und Patrick Downey versuchte, in das Schiff einzudringen.
Dennis Chertok war tot, offenbar hatte Downey ihn umgebracht. Das erklärte wohl, warum der andere CapCom neben Trieu, Travis Buell, so beschäftigt war. Er sprach mit Bangalore.
Wie es den fünf Entdeckern im Innern Keanus ging, wusste man nicht – es gab auch keine Informationen über die drei Revenants.
Vier Revenants, wenn man Pogo Downey einbezog. Einen Moment lang war Harley richtig froh, dass er nicht dafür verantwortlich war, dieses Riesendurcheinander aufzudröseln, um einen seiner früheren Fluglehrer zu zitieren. Allerdings … er war sich nicht schlüssig, ob er Jones und Bynum zutrauen konnte, die beste Lösung zu finden.
»Was soll ich tun?« Yvonne war auf den verschlüsselten Kanal gegangen und sprach mit Jasmine Trieu – und Harley hoffte, die Stimme einer anderen Frau würde beruhigend auf sie einwirken.
Unterdessen schien sich Buell mit Pogo Downey zu unterhalten. Harley rollte seinen Stuhl zu der CapCom-Konsole … eher aus einer krankhaften Neugier heraus als dass es eine operative Notwendigkeit gewesen wäre – aus demselben Grund hatte er das Home-Team verlassen und sich in exakt diesem Moment in die Mission Control begeben.
Doch nach einer oberflächlichen Bestätigung sagte Buell nichts mehr zu Downey. Und es hatte nicht den An schein, als hätte Downey Lust, sich wortreich zu äußern.
Dafür gebärdete er sich umso aktiver. Yvonne hatte beide Außenkameras der Venture eingeschaltet. Die auf den Bug hin gerichtete nahm nichts auf, aber die, welche die Vorderansicht wiedergab, zeigte Downey, wie er die Leiter hochstieg, eine Horrorfilm-Version von Armstrongs ersten Schritten auf dem Mond … nur umgekehrt.
Es gab auch eine Innenkamera; das arretierte Gerät richtete sich auf die vordere Konsole. Während Harley und das ganze Team zusahen, erschien Yvonne Hall für einen kurzen Augenblick. Sie hüpfte auf einem Bein und versuchte, die Balance zu halten. In Keanus Schwerkraft bedeutete das, sie musste verhindern, gegen die Decke zu prallen.
»Was treibt sie da?«, wunderte sich Harley.
Anscheinend hatte Buell genauer hingeschaut. »Sie sucht nach etwas, mit dem sie die Luke zuklemmen kann.«
»Lässt sie sich denn nicht verriegeln?«
»Dafür ist sie nicht konstruiert.« Die Ein- und Ausstiegsluken von Raumschiffen benötigten keinen Verrie gelungsmechanismus. Wozu auch? Höchstwahrscheinlich hätte sich ein Crewmitglied bei einem Außenbordeinsatz wegen einer lockeren Dichtungsscheibe in einem ansonsten idiotensicheren System nur selbst ausgesperrt. Gewiss, im ersten Raumshuttle war die Hauptluke mit einer Sperrvorrichtung versehen gewesen, aber das fand statt zu einer Zeit, als sich die NASA gezwungen sah, kommerzielle oder ausländische »Astronauten« ins All zu fliegen, die bezüglich ihrer psychischen Belastbarkeit unter Stress nicht gründlich genug geprüft worden waren.
Jasmine Trieu kam jedoch mit der Situation zurecht. »Okay, Yvonne, vergiss eines nicht: Solange die Innenluke nicht luftdicht verschlossen ist, lässt sich die Außenluke nicht öffnen.«
Harley fragte sich, warum er selbst nicht daran gedacht hatte. Klar, das war sicherer als ein Vorhängeschloss.
»Verstanden«, antwortete Yvonne. »Aber dann gehe ich das Risiko ein, dass er ein Loch in die Wand schlägt!«
Trieu besprach sich mit Josh Kennedy. »Kannst du deinen Anzug anziehen?«
Harley kannte die Antwort: Nein, der Anzug war doch beschädigt. Das Einzige, was Jasmine Trieu Yvonne jetzt noch sagen konnte, war: »Stand by.«
Währenddessen merkte Harley, dass Bynum, Jones und Shane Weldon in etwas verwickelt waren, das einem hitzigen Streit nahe
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