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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Tramitz
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alles quält mich«, antwortete sie. »Es fällt mir so schwer.«
    »Ich weiß, meine Liebe, ich weiß.«
    »Wovon sollen wir leben?«
    »Lass das meine Sorge sein, du weißt, ich kann hart arbeiten.«
    »Luis, warum bleiben wir net hier? Ich könnt mit dir auf den Hof ziehen. Wir täten uns um deinen Vater kümmern, so schlecht und wirr, wie der beisammen ist.«
    »Nein, Agnes, der Hof, du weißt, wie sehr ich an allem hänge, aber mir bleibt nichts anderes übrig, ich muss weg.«
    »Luis, aber warum sagst du mir nie, warum? Was zieht dich denn weg von hier?«
    Urban sah mit Entsetzen, wie der Kerl seine Tochter an sich zog und küsste.
    »Frag net, meine Liebe, bitte frag net. Irgendwann werde ich’s dir sagen, wenn ich’s sagen kann.«
    »Was werd aus deinem Vater?«
    »Gott werd’s richten, du weißt doch, oben auf dem Tremplerhof, da ist man Gott sehr nahe.«
    »Luis, und was werd aus meinem Vater?«
    »Urban? Agnes, ich bitte dich, der hat doch sein Leben lang getan, was er wollt. Hat er jemals Rücksicht auf dich g’nommen? Agnes, ich will net schlecht über deinen Vater reden, aber er ist ein Tyrann. Er wird gut ohne dich leben können.«
    Urban zitterte vor Wut. Er überlegte, ob er diesem unsäglichen Bengel die Axt sofort über seinen Knechtsschädel ziehen sollte.
    »Können wir net noch eine Weile warten? Luis, wenn ich 21 bin, dann kann ich doch selbst entscheiden.«
    »Noch sechs Monate? Agnes, da draußen wartet das Leben auf uns, andere Menschen, andere Länder, keine engen Berge …«
    Doch sie unterbrach ihn: »Bitte, Luis, bitte, dann kimm ich auch mit, mit dir. Lass uns meinen Geburtstag abwarten.«
    Sie schmiegte sich an ihn, überdeckte ihn mit Küssen, als wollte sie eine Antwort auf diese Weise unterdrücken. »Luis, ach liebster Luis«, sagte sie, während sie sich das Kleid über die Schultern streifte.
    Urban schloss die Augen. Seine Tochter, entblößt und bald vereint, vor des Vaters Augen. Das war selbst für einen Hartgesottenen wie ihn eine zu schwere Last. Was tun, Urban, was tun. Der rasende Zorn weckte im Kraxner mörderische Gedanken. Komm schon, schlag ihn tot, den erbärmlichen Hund, prügle ihn tot, rief eine Stimme in ihm. Merkt hier oben eh keiner, dann ab in die Teufelsschlucht mit ihm. Langsam erhob er sich, sein letzter Blick durchs Fenster erhaschte, wie Luis den weißen Körper mit Leidenschaft bedachte, dann ging Urban langsam zur Vorderseite. Die Axt in die Höhe haltend dachte er, der Lasterhöhle ein Ende zu bereiten. Er schob die Zweige auseinander, und in dem Augenblick, in dem Augenblick, in dem er die Tür öffnen wollte, vernahm er ein metallenes Klicken am Ohr. Er blickte zur Seite, direkt in die Mündung einer Schrotflinte. »Wag es nicht«, flüsterte eine Stimme hinter dem Hollerbusch. »Verschwind, sonst war’s deine letzte Sekund.«
    Urban ließ die Axt sinken und ging langsam rückwärts, stolperte über die Zweige und fiel der Länge nach zu Boden.
    »Mach schon, du Drecksack«, zischte die Stimme. Urban rappelte sich auf und lief los. Er humpelte um sein Leben.
    Als er zu Hause ankam, war er schweißgebadet, sein Knie und die Hände waren aufgeschürft von den vielen Stürzen auf dem felsigen Pfad. Mit eingenässter Hose setzte er sich in die Küche und leerte eine Viertelflasche Schnaps in einem Zug. Er wusste nicht, welch üblen Gedanken er sich zuerst widmen sollte, dem unzüchtigen Treiben seiner Tochter mit dem Knechtskerl oder der Frage, wer zum Teufel es gewagt hatte, ihn, ihn, den Urban, den Schützenkönig, zu bedrohen. Eiskalte Rachegefühle ließen ihn erschaudern. Er leerte die Flasche bis zur Hälfte. »Da ist einer in zu große Stiefel geschlüpft«, sagte er laut zu sich selbst. »Nicht mit dem Kraxnerbauern. Nicht mit ihm.« Wer hatte dort nachts was zu suchen? Oswin? Hatte der Alte nicht das Wildern aufgehört? Oder der Karl, der Ruckkorb-Karl, der sich immer in den Bergen rumtrieb? Wer zum Teufel hatte ein Interesse, ihn zu vertreiben und die Liebenden zu schützen, sogar mit einer Flinte? Vielleicht war’s der alte Trempler, kann sein, der hätte ein Interesse, seinen Sohn in guten Händen zu wissen. Er war seinem Sohn gefolgt. Doch warum? Konnte der ahnen, dass Urban wachen Auges sein würde?
    Der Kraxner stand auf und wanderte unruhig in der Küche hin und her. »Gewiss, könnte sein, der Trempler Florian«, murmelte er. »Der Mistkerl, ich werd’s ihm zeigen. Ihm und seinem Bastard.« Inzwischen war der Schnaps fast geleert,

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