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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Tramitz
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Urbans Eltern, die ihre letzten Lebensjahre hier verbracht hatten, waren schon lange unter der Erde. Seitdem hatte man auf dem Hof für diese Kammer keine Verwendung. Nur Urban verbrachte dort ab und zu ein Stündchen. Mit der einen oder anderen Magd, bloß um zu schauen, ob sie was taugte.
    Er setzte sich auf den Bettrand. Die Zeit wollte nicht vergehen, allmählich gingen im Weiler alle Lichter aus. Nur noch in Fertls Werkstatt brannte eine Funzel. Der dichtet wohl wieder sein Zeugs zusammen, dachte Urban. Während er so dasaß, überlegte er, was mit dem Liebespaar anzustellen sei, wenn er es in flagranti erwischen würde. Die Zeiten, in denen er so mir nichts dir nichts einem unverschämten Flegel eine Ohrfeige oder Tracht Prügel verabreichen konnte, waren weiß Gott vorbei. Luis war ihm allein größenmäßig deutlich überlegen. Was sollte er also tun? Urban sprang auf und lief in den Stall. Er würde eine Waffe brauchen, nur um ihn einzuschüchtern, ihm zu drohen, und zwar auf eine Art und Weise, die der Knechtssohn nie wieder vergessen würde. Ich hätte die Büchse mitnehmen sollen, dachte er. Doch dafür war es zu spät, denn als er unten durchs Stallfenster spähte, sah er, wie sich zaghaft die Haustür öffnete. Heraus kam, eingehüllt in einen dicken Schal, Agnes. Vorsichtig blickte sie um sich, dann schloss sie die Tür und verschwand hinter der Hausecke.
    Urban ergriff die Axt und folgte seiner Tochter in den Wald.
    Agnes war flink. Wie ein Wiesel huschte sie durchs Dickicht, so schnell und geräuschlos, dass Urban ihr mit seinem Holzbein kaum folgen konnte. Doch wies ihm ihr helles Kleid, das er zwischen den Baumästen schimmern sah, den Weg. In einer kleinen Lichtung blieb sie stehen. Vom fahlen Mondlicht beschienen, drehte sie sich suchend im Kreis, bis das Knacken eines Astes die Stille durchfuhr.
    »Agnes, wo bist du?«, hörte Urban eine Stimme rufen.
    »Luis, hier, hier bin ich«, antwortete die Tochter.
    Urban duckte sich ins Unterholz, die Axt fest in der Hand. Dann sah er sie beide, wie sie einander in die Arme fielen und sich so inniglich küssten, dass Urban schier das Herz stehen blieb.
    Luis hatte eine Decke dabei, die er um Agnes’ Schultern legte.
    »Kimm«, sagte er, »kimm.« Dann nahm er sie in den Arm, und sie gingen weiter, den Berg hinauf. Urban fragte sich, wohin der Weg sie alle führen würde. Am liebsten hätte er jetzt schon die Axt geschwungen, einen Hieb auf die Hand gegeben, die seine Tochter in diesem Moment umfasste, und einen Schlag auf den Mund, der ihre Lippen immerfort liebkoste. Doch der Kraxner war so gebannt und gespannt, was folgen würde, ahnend, es käme Fürchterlicheres als ein paar Liebkosungen. Deshalb bändigte er seine Wut und zischte nur durch die zusammengebissenen Zähne. »Wart nur, wart nur.«
    Eine knappe halbe Stunde zog das junge Paar durch die Nacht, begleitet von der Liebe und nichts ahnend von dem Hass, der ihnen folgte. Gefährlich nahe folgte.
    Irgendwann dämmerte Urban, wohin sie gehen würden, denn inzwischen hatten sie den schmalen Wildpfad erreicht, auf dem die Tiere unterhalb der Baumgrenze die Teufelsschlucht durchquerten. Auf der anderen Seite lag, versteckt zwischen Felsen und Dickicht und nur für Bergerfahrene zugänglich, jene Hütte, die Oswin Kneisl während des Krieges als Ort für das Ausweiden seiner Opfer gedient hatte. Urban selbst war öfter dort gewesen, zu ganz frühen Zeiten, als er selbst ein kleiner Bub und Oswin ein junger Mann gewesen war. Damals schon hatte sich Urbans Geschick in Geldangelegenheiten gezeigt, denn er hatte dem Kneisl beim Verhökern seines erlegten Diebesguts geholfen, wozu er das Versteck aufsuchen musste. Doch nachdem Soldaten ihn im Wald mit einem Rehschlegel auf der Schulter erwischt hatten und sein Vater, der Kraxner Senior, ihn für die Tat fast totgeschlagen und dem Oswin weiß Gott was angedroht hatte, war er niemals mehr droben gewesen, in der verbotenen Waldbehausung.
    Und tatsächlich, dort stand sie noch, klein und verfallen, inmitten hoher Farne und Sträucher. Luis drückte die Äste zur Seite, sodass Agnes zur Tür gelangen konnte. Luis folgte ihr. Urban versteckte sich hinter einem Hollerbusch und spähte durch das winzige Fenster ins Innere der Hütte.
    Sie hatten eine Kerze angezündet.
    In ihrem Licht sah er Agnes auf der Bank sitzen, Luis hielt sie fest im Arm und streichelte ihr über das Gesicht.
    »Agnes«, hörte Urban ihn sagen. »Hast du es dir überlegt?«
    »Luis, das

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