Himmelsspitz
haben!« Ihr Ton war schneidend.
Isabel schmunzelte. »Ich hatte eine schöne Nacht.«
Sie brühte den Kaffee auf und ging zurück in ihr Zimmer, nicht ohne Frau Würth noch triumphierend mitgeteilt zu haben: »Und es werden noch viele schöne Nächte werden.«
Sie legte sich wieder ins Bett und blätterte in einem Stapel Hefte Burda-Mode. Sie würde einen Teil ihres Ersparten anbrechen und sich ein Kleid nähen, beschloss sie. Eines, das ihm gefallen würde.
Zwei Stunden später ging sie mit einem Schnittmuster in der Tasche zu Stoffe Kunz. Sie wählte einen glatten Blümchenstoff aus Perlon. Sie würde ein paar Tage benötigen, rechnete sie. Das Kleid könnte nächstes Wochenende fertig sein. Bevor sie nach Hause ging, kaufte sie im Drogerieladen ein Set Kaloderma Gesichtspflege sowie eine Puderdose Angel Face und machte dann noch im Strumpfladen halt, um sich feine Nylonstrümpfe zu besorgen, denn Nylon war der letzte Schrei aus Amerika.
Sie war so unendlich glücklich, sah sich im bunten Kleid, aufreizend, erotisch und begehrenswert. Sie stand vor der Haustür und suchte nach dem Schlüssel, als Frau Würth ihr öffnete. Mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht sagte sie:
»Post für Sie. Habe ich eben aus dem Briefkasten geholt.« Und reichte Isabel ein Kuvert. Für Sheherazade aus tausendundeiner Nacht, stand darauf.
Isabel eilte ins Zimmer, warf die Einkaufstüten in die Ecke und setzte sich auf einen Stuhl. Dann öffnete sie den Umschlag. In ihm fand sie eine Postkarte, auf deren Vorderseite ein mächtiger Berg zu sehen war. Himmelsspitz stand darunter. Auf der Rückseite stand:
Meine Sheherazade, wie gern flöge ich mit dir auf dem fliegenden Teppich in deine Welt. Doch schickt mich das Schicksal in eine andere. Du hast mich gefesselt, so sehr, dass ich dich verletzt habe, gestern in der Nacht. Verzeih mir, wenn ich es tat. Gott weiß, wen er eines Tages zusammenführt. Und an welchem Ort.
Ich küsse dich.
Es dauerte lange, bis Isabel fassen konnte, was da geschrieben stand.
Aus jedem Einzelnen seiner Worte versuchte sie nun, eine Botschaft zu entnehmen. War sie für ihn, wie Sheherazade einst für König Schariyar eine verführerische Geschichtenerzählerin? Jedoch nicht mehr? Welche Welt war die ihre, in welche strebte er? Von welchem Schicksal sprach er?
Besonders quälte sie der Gedanke an die Innigkeit und Liebe, die sie gemeint hatte zu fühlen, als sie sich liebten. War all das nichts für ihn gewesen?
Julius blieb verschwunden, und Isabel glaubte, an ihrer Trauer zu zerbrechen. Sie kündigte trotz Geldnot ihre Arbeit am Hafen, weil sie den Anblick des leeren Tisches nicht ertragen konnte. Wochenlang verließ sie ihr Zimmer kaum mehr. Und nach den Zeiten der Trauer ereilte Isabel eine maßlose Wut auf ihn und auf sich selbst, eine Wut, die dazu führte, dass sie den Blümchenstoff auf dem Fensterbrett ihres Zimmers verbrannte. Der Perlongestank und die schwarze Rauchwolke führten schließlich dazu, dass Frau Würth Isabel von heute auf morgen hinauswarf.
Isabel fand Unterschlupf bei ihrer besten Freundin Julia.
Julia arbeitete als Vorführdame in einem angesehenen Modesalon und konnte sich deswegen auch eine kleine Wohnung leisten.
Es war Julia, die Isabel wieder aufrichtete, ihr gut zusprach und sie an all die großen Pläne erinnerte: »Du hattest doch so viele Träume, lass dich doch von einem Mann nicht so vollkommen aus der Spur werfen. Noch dazu von einem Mann, den du ohnehin kaum kanntest! Isabel, das Leben geht weiter. Wir werden für dich eine Arbeit finden, wirst sehen, und dann besuchst du endlich die Modeschule. Paris wartet doch auf dich!«
Doch Isabel suchte lange Zeit nur nach einer Antwort auf die Frage: Führt Gott uns zusammen? An welchem Ort? Auf dem Himmelsspitz?
Steckte in seinen Zeilen die Botschaft: »Komm zum Himmelsspitz?«
Und Julia sagte stets: »Vergiss ihn, vergiss Himmelsspitz. Womit willst du das alles bezahlen? Die Berge sind so weit weg. Und dann weiß niemand, ob er dort ist. Isabel, vergiss den Mann! Und freu dich auf das Leben, später mal in Paris.«
Das Schicksal hatte für Isabel jedoch andere Pläne vorgesehen.
Keine Modeschule, kein Paris, und vorerst gab es auch keine Entdeckungsreisen durch Deutschland. Denn sie war von Julius schwanger geworden.
Auch wenn Isabel Julius nie mehr gesehen hatte, so war er doch täglich gegenwärtig, denn Lea, seine Tochter, war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten.
Zweierlei verband die
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