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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Tramitz
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Urban stand wankend am Herd, als sich leise die Tür öffnete. »Urban?« Es war Maria, die alte Magd. Im Nachtgewand stand sie da und starrte den Betrunkenen an.
    »Was gibt’s? Was glotzt du so?«, polterte er.
    »Brauchst meine Hilfe?«, sie warf einen Blick auf die Schnapsflasche, dann auf seine durchnässte Hose. »Hier stinkt’s, du hast in die Hosen g’macht, Urban, kimm, du hast genug trunken, ich bring dich ins Bett.«
    Doch ehe sie einen Schritt auf ihn zugehen konnte, war der Kraxner ihr schon entgegengetorkelt. »Halt’s Maul, Alte.« Er holte aus und fegte die Magd mit einem Schlag zu Boden. Dann stieg er über ihren Körper hinweg und ging in die Stube, um sich aus dem Schrank die zweite Flasche Schnaps zu holen. Er hatte sie gerade geöffnet und zum ersten Schluck angesetzt, als er durch die halb offene Stubentür gerade noch das letzte Stückchen von Agnes’ Schal auf dem Boden entlangschleifen sah.
    »Agnes«, brüllte er und folgte ihr die Treppe nach oben.
     
    In dieser Nacht waren alle Fuchsbichler wach geworden. Auch die Taubstumme, denn sie fühlte, was die anderen hörten.
    Nur Luis hatte nichts von Agnes’ Schreien vernommen, denn er hatte noch lange nach ihrem Fortgang in der Waldhütte gesessen und über die Zukunft nachgedacht. Noch sechs Monate, hatte er sich gesagt, bis zum Herbst, dann endlich würde sie einwilligen, und er könnte sie an der Hand nehmen und fort vom Weiler führen. Er hatte genug Geld gespart, damit sie sich eine Zugfahrkarte nach Deutschland leisten konnten. Dann würde man schon weitersehen.
    Als der Morgen graute, löschte er die Kerze und machte sich auf den Nachhauseweg. Die ersten Rotkehlchen trällerten vergnügt in den Bäumen. Der Himmel war wolkenlos, die Luft glasklar, die Sonne stand noch weit oben in den Gipfeln, doch löste die Wärme ihrer Strahlen den weißen Nebel über dem Tal langsam auf. Im Weiler krähte der erste Hahn. Luis pflückte die Walderdbeeren, die er am Wegesrand fand, und sammelte für den Vater ein paar Bratschwämme. Weil er sie so gern aß, der Vater. Luis fühlte einen Stich im Herzen. Der Vater, welch Leben würde er haben, wenn der Sohn, der Einzige, der übrig geblieben war, nicht mehr auf dem Hof wäre? Vielleicht ein besseres, dachte Luis, ich werd ihm Geld schicken, dann kann er sich einen Knecht leisten. Den Karl, das wär’s, den Karl. Dann wär Schluss mit dem Ruckkorbgetrage und all den gefährlichen Klettereien. Bald schon würde er diesen Plan angehen und vorsichtig mit dem Fendersohn sprechen.
    Plötzlich bemerkte er oben im Felsen ausgerechnet ihn – Karl, den Ruckkorb auf dem Rücken. »Karl, so früh schon unterwegs?«, rief er.
    »Ja, Luis, ist heut viel zu rupfen. Wo kimmst du denn her in der Morgenstund?«, antwortete der.
    »Eines unserer Schafe hat sich verirrt, ich hab’s gesucht.«
    »Und? Hast du es g’funden?«
    »Nein, es muss wohl in die andere Richtung g’laufen sein.«
    »Na dann«, sagte Karl, »viel Glück beim Suchen.« Und winkte zum Abschied.
    Bub, bald könntest auch du ein schöneres Leben haben, dachte Luis. Er beschleunigte seinen Schritt, denn er sollte zu Hause sein, bevor der Vater seine nächtlichen Ausflüge bemerkte. Heute stehen die maroden Dachschindeln an, dachte er. Ein paar müssen endlich ausgewechselt werden. Und der Stubenofen war zu reinigen, die Heizperiode war vorüber, all der Ruß musste abgebürstet werden. Gegen Nachmittag wollte er Fertl besuchen, Fertl, seinen besten Freund. Und morgen Nacht würde er sie wiedersehen, Agnes, seine größte Liebe. An all das dachte Luis während des letzten Stückchen Weges, dabei war er so in Gedanken vertieft, dass er ihn zunächst nicht sah, unmittelbar vor dem Gatter zum Tremplerhof, auf einem Stein sitzend: Urban mit einem dämonischen Grinsen im Gesicht.
     
    Hass und Liebe hielten an diesem Tag nicht nur die Tremplers und Kraxners, sondern ganz Fuchsbichl in Atem. Bis zum Abend. Es war ein strahlender Tag gewesen, die Sonne hatte die Luft so erwärmt, dass die Luft lange noch lau war. Dennoch war an diesem Abend niemand draußen zu sehen. Die Bauern hatten die Tiere versorgt und sich dann schnell in ihre Häuser verzogen. Niemand, auch nicht der alte Kneisl, saß auf der Hausbank. Fuchsbichl war äußerlich ausgestorben, doch innen drin, in den Stuben, Küchen und Schlafkammern, da brodelte es.
    Oswin hatte sich hinter dem Ofen verkrochen. Jedes einzelne Glied schmerzte höllisch, denn der Alte hatte einige Strapazen hinter

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