Himmelsspitz
sich. Zum ersten Mal seit vielen Jahren war er wieder bei seiner Waldhütte gewesen. Dort hatte er sich kurz umgesehen, die Kerzenstummel in die Tasche gesteckt und danach die Tür mit einer dicken Kette verriegelt. Bevor er gegangen war, hatte er noch den Türgriff einen Moment in der Hand gehalten. Servus, altes Häusl, hatte er gesagt, hast nie wirklich Glück gebracht. Nun rieb er sich Katzenfett auf die Haut und trank einen Schluck Schnaps. Dann noch einen, dieses Mal von Urbans Gutem, bald hatte er ja Geburtstag und Urban würde kommen und ihm eine neue Flasche spendieren. Er dachte an die alte Hütte hinter der Teufelsschlucht und murmelte. »Abbrennen hätte ich sie sollen, erst gar nicht bauen hätte ich sie sollen. Hat nur Unglück gebracht.«
Nachdem Cilli ihre Zwillinge ins Bett geschickt hatte, war sie in die Küche gegangen, hatte sich zu Robert gesetzt und bitterlich geweint. Auf dem Küchentisch lag ihr Block, auf den sie schrieb: Diese Liebe von Agnes bringt großes Unheil. Ich kann ihr nicht helfen. Robert streichelte seiner Frau über das Gesicht.
»Meine geliebte Cilli, wenn du nur wüsstest, wie sehr ich dich liebe, und welch großes Heil mir deine Liebe brachte.« Und er wusste, wäre sie nicht taub, wären ihm diese Worte niemals über die Lippen gekommen.
Fertl hatte viele Stunden in der Kapelle verbracht, wo er kniend unter der Muttergottes betete. Danach war er in seiner Werkstatt verschwunden. Als die Sonne sich neigte und keiner mehr im Weiler zu sehen war, rückte er das Regal mit den Jesuskindern von der Stelle und schob dahinter ein loses Brett zur Seite. Dann nahm er den Jutesack, in den er seine Büchse und Urbans Axt gepackt hatte, und versteckte alles hinter der Holzwand. Mit ein paar Hammerschlägen befestigte er das Brett und stellte das Regal wieder auf seinen alten Platz zurück. Nichts war verändert. Dann setzte er sich an sein Schreibpult und schrieb die Worte:
O große Sehnsucht, vergeblich Hoffen,
Nun schweigt das Herz in Traurigkeit.
Karl hatte seinen Korb voll feinster Gräser beim Oswin abliefern wollen, doch weil der nicht anzutreffen war, brachte der Junge an diesem Tag keine Groschen nach Hause. Der Vater Fender hatte ihn zur Strafe mit leerem Magen zu Bett geschickt, und Mutter Elfriede hatte gute Nacht gesagt mit traurigen Blicken. Karl verspürte Hass für den einen und Liebe für die andere. Und er dachte an das, was heute geschehen war, beim Urban.
Urban lag mit schwerem Kopf in seinem Bett. Was für eine ereignisreiche Nacht und welch anstrengenden Tag er hinter sich hatte. Der Kraxnerbauer hatte zu wenig geschlafen und war zu weit gegangen. Ein paar schöne Gedanken wollte er sich nun gönnen, dachte er. Bald schon, nämlich in vier Wochen, würde wieder sein großer Tag sein. Beim großen Gaufest würde er, da er Vorsitzender des Trachtenvereins war, nicht nur im Rampenlicht stehen, sondern sich infolgedessen auch leichter mit der Liebe tun, denn dann war er jemand! Vier Wochen noch, dann war es so weit.
Agnes hatte den Tag in ihrer Schlafkammer verbracht, zusammen mit der alten Magd Maria, die auch jetzt noch an ihrem Bettrand saß, nachdem sie Agnes’ Platzwunde versorgt und ihr kühlende Tücher auf den Kopf gelegt hatte. Es war dunkel im Zimmer, denn Agnes wollte kein Licht sehen.
»Maria«, sagte Agnes, »ich werde Fuchsbichl verlassen.«
»Scht, scht, ruhig mein Kind«, befahl die Alte.
»Doch, Maria, ich geh fort.«
»Wohin denn, mein Kind?«, fragte Maria und streichelte ihr über das Haar, so wie damals, als Agnes noch klein war.
»Weit fort.«
»Doch net allein, oder?«
»Nein.«
»Agnes, meinst net, dass ich jede zweite Nacht merk, dass du dich vom Hof schleichst und erst weit nach Mitternacht zurückkehrst?«
Agnes schloss die Augen. »Maria, ich bin müd. Lass mich schlafen.«
»So red, Kind, hab ich dir nicht immer g’holfen? Mit wem gehst fort? Mit dem Fertl? Mit dem bist ja so oft zugange.«
Agnes schüttelte den Kopf.
»Dann hat das G’red im Weiler doch recht. Es ist der Luis.«
»Ja, der Luis, und weil ich ihn liebe, geh ich mit ihm. In sechs Monaten, dann kann niemand mehr was sagen.«
»Was redst, mein Kind? Dein Vater werd das niemals zulassen. Du weißt doch, wie er ist. Außerdem musst du zuerst g’sund werden, so kannst net gehen, mit deinem Aussehen und deinem gebrochenen Finger. Und was werd aus dem Hof? Willst net bleiben, deine Mutter hätt das so wolln.«
Doch Agnes gab keine Antwort mehr,
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