Himmelsspitz
Tremplerfamilie mit den Kraxners: Hass und Liebe.
Urban hasste Luis!
Dieser Kerl, dieser Abkömmling des jämmerlichen Florians, wie konnte es angehen, dass dieser Bursche trotz all seiner Armseligkeit mit einer derart unwiderstehlichen Anziehungskraft gesegnet war? Die Natur hatte Luis so gewinnend gestaltet, dass er alle Herzen im Sturm eroberte, mit seinem geheimnisvollen Charme, seinem dunklen Teint, den pechschwarzen Locken, den betörenden Augen, die so tief und klar waren wie der Perlensee. Und im Weiler wusste jeder: Die meisten Frauen im Tal hatten ihr Herz an ihn verloren. Anders als der reiche Urban, der so oft vergeblich bemüht war, Frauen zu betören, und dann doch nur noch Erpressung, List und Gewalt als einzige Mittel zur Verfügung hatte, um die Begehrten gefügig zu machen, konnte der mittellose Bursche Luis den Luxus der Herzen genießen. Wenn er denn nur wollte. Urbans Hass wuchs noch einmal mehr, als er merkte, dass Luis sich gar den Luxus des Verzichts auf all die Liebe leisten konnte, die ihm entgegenflog. Unglaublich. Keine Liebschaften, keine Gerüchte. Unnahbar für all die jungen Frauen, nach denen sich Urban die Finger abgeleckt hätte.
Manchmal hatte sich Urban in der Kirche hinter Luis gesetzt. Er musterte dann jedes einzelne Haar, die leichten Wellen, die glänzende Schwärze. Ja, er meinte gar, der Kerl würde duften, nach Tannen und Kiefern, nach Walderdbeeren und Wiesenblüten, nach frischem Quellwasser – statt nach Stall. Und sein Hass vermischte sich mit grauenvollem Entsetzen, als seine scharfen Augen in der Kirche entdeckten, welches Geflecht von Blicken sich quer durch das Kirchenschiff entsponnen hatte, hauchzarte Fäden, die die beiden schönsten Menschen des Tals verknüpften: Luis und Agnes.
Seine Tochter! Und der Sohn des alten Tremplerbauern! Er sah Luis’ Hände auf ihrem Körper, er sah die Münder gierig und begehrend vor sich. Welche Pein quälte ihn von dieser Stund’ an. Sein Argwohn ließ ihn nicht ruhen. Fortan beobachtete er seine Tochter auf Schritt und Tritt. Und war er im Wald oder auf der Mahd, hatte Magd Josefa den Auftrag, ihm genauestens Rechenschaft abzulegen über das Treiben seiner Tochter. »Nichts macht deine Tochter, Urban«, sagte diese indes fortwährend. »Sie hat mit mir den Stall gemistet, sie hat Heublumensud für die Schweine g’kocht und Schnecken im Gemüsegarten g’sammelt. Dann hat sie Cilli auf einen Tee besucht. Mehr net.« Genau betrachtet gab es eigentlich keine wirklich ernst zu nehmenden Hinweise auf ein Liebesverhältnis, außer vielleicht ein geheimniskrämerisches Tuscheln mit der Cilli. Doch was sollte er die Taubstumme fragen, ihr auf einen ihrer Blöcke kritzeln, die sie in ihrer Kitteltasche bei sich trug? Cilli, hat meine Tochter ein Verhältnis?
Hinzu kam, dass Luis im Weiler kaum zugegen war, er hatte auf dem Tremplerhof genug zu tun, und der war immerhin eine gute Stunde Fußmarsch vom Kraxnerhof entfernt. Während der wenigen Zeit, in der man den Knechtssohn im Ort sah, besuchte er seinen Freund, den Fertl, oder er saß beim Oswin auf der Bank und gönnte sich eine Prise Schnupftabak. Manchmal tollte er mit den kleinen Zwillingen von Robert und Cilli umher. Doch mehr nicht. Den Kraxnerhof würdigte er – wie auffällig! – keines Blickes. Nicht einmal dann, wenn Agnes vor dem Haus auf der Bank saß oder im Garten arbeitete.
Dennoch, Urban fühlte die Liebe zwischen den beiden. Er meinte es seiner Tochter anzusehen, denn ihre Schönheit wuchs von Tag zu Tag. Genährt vom Glück der Liebe, dachte Urban, den Misstrauen, Missgunst und Zorn zunehmend zerfraßen.
Die Nacht, schoss ihm eines Tages durch den Kopf. Es war die Nacht. Das liebestolle Treiben seiner Tochter fand im Schutz der Dunkelheit statt. Nur hatte er dieses bisher verschlafen, schuld war der abendliche Schlummertrunk, eine halbe Flasche Schnaps, die er nun vorerst verbannte. So heilig diese ihm war, die Sorge um das Wohl seiner Tochter und der Hass auf Luis waren größer.
Seine Überwachungsaktionen hatte er sorgfältig geplant. Da der Hof sowohl Vorder-als auch Hintereingang besaß, musste er seine Bespitzelungsposition vom Stall her einnehmen. Im ersten Stock des Viehtrakts war das Austragszimmer, ein Raum, der zwei Fenster besaß, eines nach vorn in Richtung Weiler und eines zur Seite, direkt zum Wohngebäude. Das Zimmer war bis auf ein Bettgestell mit einer alten Matratze, einem Tisch, einem Stuhl und einem Kreuz an der Wand leergeräumt.
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