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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Tramitz
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sie mal geschimpft, mal beruhigt, mal angeschrien.
    Oder sie war wortlos gegangen.
    Bis zu jenem Abend, an dem Mutters beste Freundin Julia mal wieder zu Besuch kam. Lea mochte es, wenn Julia da war. Sie und Isabel saßen dann stundenlang in der Küche, tranken Wein, redeten viel. Manchmal lachten die Freundinnen so laut, dass sich die Nachbarn beschwerten. Lea konnte am besten einschlafen, wenn Mutter lachte.
    An diesem Abend aber hatte eine befremdliche Ruhe in der Küche geherrscht. Es war so still, dass Lea nicht einschlafen konnte. Sie schlüpfte aus dem Bett, lugte durch den Spalt der Küchentür und sah, wie ihre Mutter weinte. Julia hielt sie im Arm und sagte: »Isabel, das ist doch keine Zukunft. Du musst dich endlich von der Vergangenheit lösen. Sieh nach vorn! Früher hattest du Träume. Denk an Paris! Und schau dir die Wirklichkeit an. Diese kleine Wohnung, keine richtige Arbeit. Isabel, ich fleh dich an, vergiss, was geschehen ist. Isabel, dieser Horst, auch wenn er nicht das ist, was du suchst. Er ist dennoch deine Möglichkeit, aus deinem jetzigen Leben herauszukommen. Verstehst du mich?«
    Julia packte Isabel an den Schultern und schüttelte sie wie einen leeren Sack. »Isabel, Lea ist nun sechs Jahre alt. Sie kann wirklich die Nacht allein bleiben, und wenn nicht, dann muss sie es eben lernen. Es ist auch dein Leben, greif nach ihm!«
    Lea schlich zurück in ihr Zimmer. »Dein Leben, greif nach ihm«, klang es in ihrem Kopf.
    Seit diesem Abend hielt Lea ihre Augen geschlossen, wenn Isabel nachsah, ob sie schon schlief. Und während Isabel vor dem Spiegel ihre Haare nach hinten kämmte, ihre Lippen mit dunklem Rot versah, in feine Wäsche schlüpfte, den engen Rock und die seidene Bluse überzog, stellte sich Lea vor, wie ihre Mutter nach dem Leben griff.
    Dann hörte das Kind das leise Knacken des Schlüssels, wenn er sich im Schloss drehte, das Klappern von Mutters Absätzen und schließlich das Aufheulen des Kapitäns. Sobald sich das Motorengeräusch verlief, war da nur noch Stille in der kleinen Wohnung.
    Seitdem sie mit ihrer Mutter in Horsts Haus gezogen war, ging es ihnen zwar besser als früher, denn sie waren von einem großen Garten umgeben, konnten in einem Schwimmbad planschen, und sie trugen schöne Kleider. Außerdem besaß Lea ein großes Kinderzimmer und mehr Spielsachen, als sie sich jemals erträumt hatte. Dennoch sehnte sie sich zurück in die alte, kleine Wohnung am Hafen.
    Alles dort war lustiger gewesen.
     
    Der Kapitän kroch schnaufend die steile Bergstraße hinauf. Schließlich erreichten sie den Ort. Die meisten Häuser waren hell erleuchtet. An ihren Vorderseiten hatte man große Schilder angebracht. Hotel Alpenrose, Jausenstation zum Bären, Gästehaus Gletschersonne. Die Autos, die vor den Hotels und Pensionen parkten, waren von weit her gekommen, München, Berlin, Frankfurt oder Hamburg. Obwohl die Nacht schon hereingebrochen war, schlenderten noch zahlreiche Menschen durch die Gassen.
    Am Ende des Ortes machte Horst halt. Er klopfte dem Kapitän auf die Armatur wie einem braven Sohn auf die Schulter. »Wacker geschlagen«, vermerkte er zufrieden und küsste Isabel: »Kaum zu glauben, aber wir haben es geschafft. Vor uns steht unser Hotel, seht, wie groß es ist.«
    Das Gebäude war mit seinen drei Stockwerken in der Tat das größte von all den Häusern. Auf der Vorderseite erstreckte sich eine riesige Terrasse mit eingeklappten Sonnenschirmen. Auf den Balkonen hingen prall gefüllte Blumenkästen.
    »Na, so wie das aussieht, scheint mir, dass wir Glück mit unserer Bleibe haben, Kinders, wir wohnen im vornehmsten und besten Hotel des Orts. Was sagt ihr? Sieht doch ganz ordentlich aus, was der gute Horst ausgesucht hat.«
    Sie gingen den gepflasterten Weg zum Eingang.
    Links und rechts neben der Tür waren zwei eiserne Widderköpfe mit Leuchten angebracht. Tritt ein, mein Haus sei dein, war auf dem großen Fußabstreifer zu lesen. Ein roter Teppich auf dem Boden führte zur Rezeption. Dort begrüßte sie eine junge Frau mit langen roten Zöpfen, dunkelgrünen Augen und einem freundlichen Lächeln: »Herzlich willkommen im Himmelsspitz, Sie müssen Familie Tietze sein. Hatten Sie eine angenehme Reise?«
    »Es ging. Sieht übrigens wirklich nett aus, Ihr Hotel«, schmeichelte Horst.
    »Danke, freut mich, dass es Ihnen gefällt.« Ihr Blick fiel auf Lea. Dort verweilte er einen Moment, staunend und verwundert.
    »Merkwürdig, mir ist, als hätte ich Ihre Tochter schon

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