Himmelsspitz
alten Fichte und kauten Harz. »Nein, niemanden gesehen. Keinen Tobi, keinen Hund«, sagten sie. »Aber ihr solltet langsam schauen, dass ihr nach Hause kommt, denn es braut sich was zusammen, oben am Himmel. Schaut’s euch den Wetterschnurf der Küh an.«
Wie wahr! Wie unruhig die Tiere waren! Die grasenden Kühe hoben und senkten ihre Köpfe, spreizten, hörbar nach Luft schnappend, ihre Nasenlöcher und wühlten mit ihren Hörnern und Hufen im Boden. Und die Kälber zeigten mit hoch erhobenem Schwanz wilde Bocksprünge.
Hanni sah Magda an.
»Stimmt, lass uns zurückgehen. Außerdem, woher wissen wir, dass man ihn noch nicht gefunden hat? Und wir sind hier ganz umsonst oben?«, fragte sie.
»Hast recht«, antwortete Magda. »Wenn wir uns beeilen, können wir ja noch ganz runter ins Tal, zum Schützenfest. Was meinst?«
Hand in Hand liefen sie den Berg hinab, dabei lachten die Zwillinge, und ihre Zöpfe tanzten fröhlich auf und ab.
Als sie unten an der Biegung standen, dort, wo der große Findling lag und der Pfad nach oben zum Tremplerbauer abzweigte, blieb Magda stehen. »Der Tremplerhof. Vielleicht ist er zum Tremplerhof g’laufen.«
Hanni schüttelte den Kopf. »Zum Tremplerhof? Aber du weißt doch, da war schon seit Jahren niemand mehr.« Dann flüsterte sie: »Denk an die Geister. Weißt doch, was die alle erzählen von den Geistern der Toten, vom alten Tremplerbauern, den man nie mehr g’sehen hat. Im Tremplerhof, da hausen doch Unbelebte und die Entseelten, sagen’s doch alle. Ich will da nicht hin, du weißt, keiner geht da hin. Seit vielen Jahren nicht. Außerdem hat’s der Urban verboten. Und dem gehört ja der Wald um den Tremplerhof, weißt eh.«
»Gut, lass uns nach Hause gehen, wahrscheinlich san die beiden Ausreißer schon längst wieder zurück.«
»Na, dann werden die aber was erleben!«, sagte Hanni und nahm ihre Schwester an die Hand. »Wurzl sperrn wir zur Straf zum stinkenden Ziegenbock in den Stall, kannst dich erinnern, als er klein war, wie er den Bock immer anbellt hat? Den konnte er net leiden. Und den Tobi, der muss mit dir tanzen, wo er doch solche Tänz net mag. Des ist a g’rechte Strafe. Das tät dir gefallen, stimmt’s?«
»Ja, dann muss er tanzen«, quietschte Magda erfreut und begann zu singen:
Zwo Diandl liabm
Dös muaß oana vasteh
Oamal die schiach
Und oamal die schia.
Fragt mi a Bua
Hasch koa Diandl für mi
So gib i ihm d schiache
D Schiene ghalt i.
Wann i amal heirat
Aft heirat I zwoa
Aft kunnt di oa hintbei liegn
Und die oa voa.
So liefen sie fröhlich den Weg hinunter, im festen Glauben, alles habe sich zum Guten gewandt. Sie würden jetzt ihr Dirndl anziehen, Mutter müsste den Kranz flechten, und dann würden sie Tobi zwischen sich nehmen und hinunterschleifen, zum Schützenfest. Magda würde seine Hand nehmen und sich mit ihm drehen, dass ihm schwindlig wird. Ein paar Stunden war ja noch Zeit, bis die Dunkelheit einsetzte.
Als die Zwillinge in die Stube traten, saß Agnes am Tisch, leidend und überall blutend, denn der Weg durchs Untergehölz hatte ihr Gesicht und Arme zerkratzt. Ihre blonden Locken hingen aufgelöst über das Gesicht, in ihnen steckten kleine Ästchen und Dornen, Zeugen ihres panischen Kreuzzuges durchs Dickicht.
»Die Agnes schaut aus, wia unser Heiland«, flüsterte Hanni und zeigte auf den Gekreuzigten, der über der Kraxnertochter hing. Magda kicherte verstohlen. Cilli ging unruhig auf und ab. »Und?«, fragte ihr Gesicht.
»Wir haben denkt, die beiden san schon wieder zurück«, wirbelten Hannis Hände durch die Luft, und Magda fügte eifrig hinzu: »Wir haben überall g’schaut. Nur beim Tremplerhof waren wir net, der Weg ist ja ganz zug’wachsen.«
Agnes begann zu schluchzen. »So lang wegbleibn. Das hat der Bub noch nie g’macht, er weiß doch, dass ich mir Sorgen mach, das weiß er doch. Und der Wurzl, nein, immer in der Näh, immer beim Tobi. Gütige Maria, was mag passiert sein.«
»Vielleicht ist er runter zum Schützenfest gangen«, meinte Hanni.
Agnes schüttelte den Kopf. »Allein, ohne uns? Niemals, ihr kennt’s doch den Bub, der macht sich nix ausm Tanzn.«
»Wir sollten jemand ins Tal zum Festzelt schicken, die Männer holen, zum Suchen helfn. Was meint’s?«, schlug Magda vor.
Doch Agnes schüttelte heftig den Kopf und sagte mit zittriger Stimme. »Der Urban werd schimpfn. Grad am Schützenfest muss des g’schehn. Und dann auch noch wegen dem Bub, na, besser, wir lassen die
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