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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Tramitz
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Höhlen der Murmeltiere und Dachse lagen, in deren hintersten Ecken die Tiere zitternd hockten. Zuerst erreichte die wehrlosen Geschöpfe nur das Knallen des Donners, doch dann kam das Himmelsheer durch die Ritzen gesickert und verwandelte die verdorrte Erde erst einmal zu einer schmierigen Substanz, bis schließlich alles aufgeweicht war und als schwerer, zäher Brei über den wehrlosen Tieren einsackte.
    Fiepend versuchten sie den Weg ins Freie zu finden, doch wälzte sich immer mehr brauner Schlamm über sie hinweg, bis sie jämmerlich erstickten. Ihre Körper wurden zerquetscht und zermalmt von all dem Geröll, das sich zur gefährlichen Mure verband, die, je näher sie gen Fuchsbichl rückte, immer größer, wilder und rasanter wurde. Sie knickte die Bäume wie Streichhölzer, riss sie samt Wurzelwerk aus der Erde, sie löste selbst die schwersten Felsbrocken aus dem Boden. Die begannen zu rollen und dann zu springen, höher, immer höher, bis die Erde vibrierte.
    Welch grausige Marschmusik begleitete das mächtige Himmelsheer auf seinem Feldzug, dieses dröhnende Donnerwetter in der Luft, inmitten des heulenden Winds, des peitschenden Regens und des todbringenden Krachens der Felsen.
    Die Fuchsbichler Frauen standen vor ihren Häusern und erstarrten vor Furcht, weil alles um sie bebte. Nur in Cillis Augen flackerte es. Die Ahnung, es war die Ahnung, dass Fuchsbichl nun nicht mehr das sein würde, was es war.
    Nur an einem Ort herrschte Stille.
    Grabesstille.
    Kein Wind pfiff, keine Erde bebte, kein Baumwipfel schwankte, und kein Halm zitterte. Nichts regte sich. Einzig die schwarze Feder, die letzte, die der skelettierte Hennengeier am Galgen noch hatte, segelte langsam zu Boden.
    Am Ort der Erinnerungen hatten die Geister schützend ihr Netz gespannt, damit nichts entrinnen konnte. Weder Zeit noch Verbrechen.
     
    Zu diesen Stunden, während das Unheil aufkam, war Karl in Gedanken versunken. Ruhig stapfte er neben Oswin den Pfad hoch nach Fuchsbichl. Er hielt den Kneisl am Arm, denn der schwankte so sehr, dass Karl fürchtete, der Alte würde andernfalls den Berg hinabstürzen. Und das wäre wahrlich kein feiner Abgang für einen alten Bergbauern. Auch wenn Oswin sich, wie er selbst kundtat, auf den Tod freute.
    »Karli, kleiner Karli«, lallte Oswin, »warst doch immer mein kleiner Karli.« Er lachte und bekam Schluckauf. »Ich muss mich setzen, mach ma a Pause.« Erschöpft ließ er sich auf einem Holzstumpfen nieder. »Weißt was, ich schlaf hier, lass mich schlafen.« Er zeigte zum Himmel. »Schau, die Sonne is weg, es werd bald Nacht, Zeit is für den alten Kneisl.«
    »Oswin, nix da. Das sind dunkle Wolken, gleich beginnt’s zu regnen, komm, steh auf, sonst kemma mir ins G’witter.«
    »Lass mich«, knurrte Oswin. Doch Karl zog ihn am Janker in die Höhe und schleifte ihn über den Boden, weiter Richtung Wolfsschlucht. Bei den schlüpfrigen Steinen packte er den Alten auf die Schulter und trug ihn, bis der Weg wieder begehbarer wurde.
    »Herrje, warum hast auch so viel trunken?«, schimpfte Karl mit dem Alten. »Weißt doch, dass dir das nicht guttut. Außerdem hat der Doktor dir das Trinken verboten.«
    »Wer weiß schon, was mir guttut? Hab lang gelebt, hab gut für den alten Oswin gesorgt, ihm ein schönes Leben bereitet, hat viel Freude gehabt. Bis auf die letzten Jahr, einsam, weißt, Karli, weißt, was einsam ist?« Er blieb stehen und hob den Zeigefinger in die Höhe. »Niemand weiß, was für den Oswin gut ist, das weiß nur er selbst, denn er ist ein schlauer Kneisl.«
    Dann funkelte er Karl mit listigen Augen an. »Der Schlaue weiß auch, was dem Karli guttut.«
    »Mei Oswin, was kommt denn jetzt schon wieder? Komm, wir müssen weiter, ich hab schon den ersten Regen g’spürt, das Gewitter ist nimmer weit, merkst nicht, wie ruhig der Wald auf einmal ist?« Karl zog den alten Mann am Arm, doch der riss sich los. »Karli, schau amal dem alten Kneisl in die Augen, tief in die Augen.« Er grinste verschmitzt und feixte: »Die g’fallt dir, Karli, stimmt’s?«
    »Wen meinst denn?«
    »Geh, halt den Oswin doch nicht zum Narren! Die Bedienung mein ich natürlich, die Fesche. Hab ich recht oder nicht? Sag’s, komm, sag’s dem alten Kneisl.«
    Karl errötete. »Mhm.«
    »Na, dann gehst morgen runter ins Tal, ich sag’s dir, und wenn ich dich runterschleifen muss.«
    »Jetzt schleif ich dich erst mal hoch nach Fuchsbichl«, erwiderte Karl und schob ihn den Pfad hinauf.
    Oswin begann ausgelassen

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