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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Tramitz
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Männer, wo’s san.« Dann wandte sie sich murmelnd zur Mutter Gottes, die sanft auf sie herabsah. »Hilf uns, heilige Maria, bitte hilf, sei gütig, sei barmherzig, hilf, Mutter Gottes, oh heilige Maria …«
    Draußen schoben sich Wolken vor die Sonne, die Stube verdunkelte sich. Es herrschte ratlose Stille. Die Frauen tauschten beklemmende Blicke. Nur Agnes bewegte stumm ihre Lippen. So versunken war sie ins Gebet, dass sie nicht sah, wie Cilli zu zittern begann und dunkle Zornesröte in ihr Gesicht stieg.
    Plötzlich holte die Taubstumme mit ihrem Arm zu einem Schlag aus, als führte sie ein schweres Beil und hieb die Faust auf den Tisch. Es tat einen fürchterlichen Krach. Die Zwillinge versteckten ihre Gesichter hinter den Schürzen. Agnes schreckte aus ihrer bittenden Verzweiflung hoch. Übersetzt, befahl Cilli den Zwillingen, und dann wirbelte sie so heftig mit ihren Händen durch die Luft, als habe sie ein wildes Teufelsorchester zu dirigieren.
    »Wach auf, Agnes, endlich!« Sie stampfte mit dem Fuß auf den Boden. »Dein Vater, der verdient keine Rücksicht und keine Gnad. Immer hat er gehasst, einen jeden, nur nicht sich selbst. Am meisten aber den Tobi, der arme Bub, der kann doch nichts dafür, für das, was geschehen ist, damals mit deinem Herzen. Wärst doch gangen mit dem Luis, wärst es doch!« Erschrocken starrten die Fuchsbichler Frauen zuerst die Zwillinge an, die mit bleichen Gesichtern sprachen, was in Mutters Kopf vorging, dann Agnes, die Sünderin. Die hob flehend die Hände. »Cilli, halt ein, ich bitt dich!«
    Doch die sonst so Besonnene und Milde tobte immer mehr, und aus ihrem weit geöffneten Mund quollen schrille, spitze Laute. »Agnes, verschließ die Augen nicht. Wer hat denn das Unheil angestellt? Wer hat so wenig Herz, dass er dem Hund die Ohren abgehackt hat? Wer? Doch nur dein Vater, weil er bös ist, voller Gier und voller Hass.« Cilli hielt kurz inne, um Atem zu holen. Schweiß tropfte von ihrer Stirn.
    »Nie was sagen«, fuhr sie fort zu deuten, »nie einmischen in anderer Leut Sachen, da hab ich mir so viel Schuld aufgeladen, ich brech den Schwur jetzt, und Gott wird’s mir verzeihen. Und wenn nicht, dann trag ich die Schuld. Mit Würde. Das glaub mir!«
    Cilli wischte sich mit ihrem Handrücken die Schweißperlen von der Stirn. Ihre durchdringenden Laute waren nun versiegt, doch verriet ihr heftiges Atmen, wie sehr es sie, die Stumme, angestrengt hatte, nicht zu schweigen.
    Agnes blickte hoch zum Gekreuzigten, dicke Tränen rollten in feinen Fäden die Wangen hinunter und tropften in den Schoß. Warum quälst mich so?, lag in ihren Augen.
    Magda und Hanni sprachen mit ihren Blicken, so wie sie es oft taten, wenn niemand anderes sie verstehen sollte. »Vielleicht hätten wir doch beim Tremplerhof nachschauen sollen?«, fragte Hanni auf einmal. Cilli nickte und deutete: Wir sollten es zumindest versuchen.
    In diesem Augenblick durchfuhr Furchterregendes die angespannte Stille. Ein eiskalter Wind fegte orkanartig durch den Hausgang, schlug Türen und Fenster zu, sodass sie zu Bruch kamen. Die Blumenkästen lösten sich von ihren Verankerungen und sausten mit lautem Knall zu Boden.
    Die Fuchsbichlerinnen stürmten nach draußen.
    Keine von ihnen hatte den Aufmarsch des Unheils bemerkt, die tückische Himmelsarmee, die sich nun anschickte, mit ihrer Gewalt die Natur erzittern zu lassen. Klammheimlich hatte sie ihr schwarzes Wolkenheer hierher beordert. Genau hierher. Zu dem großen Berggipfel, der über dem kleinen Weiler thronte, zum Himmelsspitz. Dort tobte das Heer bedrohlich hin und her, auf und ab. Dann entließ es einen kühlen Vortrupp in die Tiefe, sodass zunächst ein leichtes Rauschen die Halme der Almwiesen und die Baumwipfel durchfuhr. Doch kurz darauf schickte es die eisigen Winde hinterher, die sich pfeilschnell ihren Weg bahnten, alles ergriffen und umherschleuderten, was sich ihnen in den Weg stellte. Von den Zacken des Himmelsspitz schossen sie nach unten, den Gaisbach entlang, dem Pfad des Hochtals folgend, quer durch Fuchsbichl: durch die luftigen Scheunen, in denen sie das Heu in die Luft wirbelten, durch die Ställe, wo Panik die Tiere ergriff, und mitten durch jede noch so winzige Ritze in den Häusern. Fuchsbichl geriet aus den Fugen.
    Doch es sollte noch schlimmer kommen, denn jetzt durchzuckten Blitze die schwarzen Wolken, die nun all ihre Wassermassen gen Erde prasseln ließen und so das Unheil heraufbeschworen.
    Oben nahm es seinen Lauf. Dort, wo die

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