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Himmelsspitz

Himmelsspitz

Titel: Himmelsspitz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Tramitz
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auf seinen Hinterbeinen balancieren.
    »Ist a besonderes Tier, weißt? So lang hab ich ihn schon hier, und immer noch schaut er aus wie am ersten Tag, wo er kemma ist. Müsst schon recht alt sein, hat aber noch kein graues Haar. Kimm Luis, zeig wiast tanzen kannst.« Der Kater biss Fertl zärtlich in die Hand.
    »Tanzn g’fallt ihm net, dem Luis, da werd er bös!«, sagte er und ließ ihn wieder auf seine vier Füße nieder. »Lasst sich sonst von keinem anfassen, der Luis, geht jedem aus dem Weg.« Er stupste ihm an die Nase. »Geh? Bist a schönes Tier, a stolzes Tier.«
    Isabel wurde schwindlig, alles drehte sich in ihrem Kopf.
    »Willst an Tee?«, fragte Fertl. Sie nickte. Er hob den Kater auf den Tisch, ging zum Ofen, auf dem eine blecherne Kanne stand und schenkte einen Becher ein.
    »Da«, sagte er, »tut gut.«
    Dann setzte er sich auf seinen Schemel und nahm sich wieder des Heilands Fuß vor. »Zartes Rosa, mal sehen, ob wir die Farbe hinbekommen.« Er öffnete ein paar Tiegel und begann zu mischen.
    Nachdem Isabel den Tee getrunken hatte, wagte sie zu fragen: »Wo liegt er denn, der Tremplerhof?«
    »Unerreichbar. Droben, weit droben, Richtung Gipfel«, antwortete Fertl und rührte mit dem Pinsel in den Farben. »Glaub, so ist’s gut, Jesus, gib her deinen Fuß.« Mit feinen Strichen bemalte er den kleinen Zeh. »War schon lang keiner mehr da, gibt kein Weg nimmer hoch.« Dann schenkte er Isabel ein mildes Lächeln. »Aber erzählen kann ich dir von ihm. Willst sie hören, die G’schicht vom alten Tremplerhof?«
    Isabel nickte. »Erzähle Fertl, bitte erzähl mir alles.«
    Und er begann zu erzählen, Stund um Stund, bis es draußen dämmrig wurde. Von der Zeit, der Vergangenheit und der Gegenwart, von der Armut auf dem Hof, vom alten Tremplerbauern, seiner schwerkranken Frau, für deren Genesung kein Geld übrig war, vom Entschwinden seiner Bewohner, vom Sohn Luis. »Niemand ist mehr zurückkehrt. Auch Tobi nicht, des alten Tremplerbauern Enkel.« Er sah Isabel tief in die Augen.
    »Luis’ Sohn.«
    »Luis’ Sohn«, wiederholte Isabel. Ihre Stimme bebte.
    »Ja«, sagte Fertl. »Aber niemand hat’s g’wusst, weder der Luis, dass er a Sohn hat, noch der Bub, was er für an Vater hat.«
    Schwerfällig erhob sich Fertl von seinem Stuhl, ging vor die Tür und kehrte mit einem Arm voller Holzstücke zurück. »Zwölf Jahr war er alt, als er verschwunden ist, der Bub. Grad zwölf Jahr ist er g’worden. Kein Alter für den Tod, denn leben tut er nimmer, des glaubt keiner mehr hier. Begrabn haben’s ihn ohne Leich«, murmelte er, während er die Ofentür öffnete und das Holz in die Flammen steckte. »Net dass dir kalt werd!«
    Dann schenkte er Tee nach und setzte sich wieder auf seinen Schemel.
    »Oh Fertl, wie fürchterlich traurig das alles klingt«, sagte Isabel. »Darf ich fragen, wie es Tobis Mutter erging?«
    »Ach ja, die Agnes«, seufzte er. »Die Agnes, was für einen Schmerz hat sie erdulden müssen, die Tochter vom Kraxnerbauern.« Er wandte sein Gesicht von Isabel ab und blickte zum Fenster. »Da hinten, am großen Hof, hast eh schon g’sehn, da wohnt das Unglück, wie man es sich größer net vorstellen kann.«
    Fertl verfiel in langes, tiefes Schweigen. Heftiger Regen prasselte auf das Dach, die Zweige kratzten am Fenster, und im Ofen brannte es lichterloh.
    Isabel wagte nichts mehr zu fragen, denn sie fühlte, wie sich Finsterkeit und Trauer über alles senkten, was sich hier im Raum befand.
    Stumm betrachtete sie den hageren Rücken des Schnitzermeisters. Ein Zucken durchdrang ihn, wie man es von Trauernden kennt, wenn sie gegen Tränen kämpfen.
    »Was nur hätt ich tun solln«, hörte sie ihn leise sagen. Dann wischte er sich mit seinem Handrücken über das Gesicht, wandte sich Isabel wieder zu und setzte die Geschichte fort, wie der Bub seinen Hund suchen gegangen war, weil ein Unerbittlicher dem armen Tier die Ohren abgehackt hatte, und beide seitdem nie mehr gesehen worden waren.
    Zum Schluss erzählte er von den Seelen der Entschwundenen, die, so wussten die Leute in Fuchsbichl, all jene wieder zurücklockten zum Tremplerhof, deren Wurzeln dort einst entsprossen waren. Weil nichts verschwinden sollt, bei der Armut.
    Jesus lag inzwischen zum Trocknen vor Isabels Füßen und lächelte. Fertl war auf seinem Schemel zusammengesunken, den Kopf gesenkt. »Ja, so sind’s die Tremplers. Man kann sie net vergessen.«
    Müde blickte er Isabel in die Augen: »Aber das kennst ja selbst, auch du

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